„Mit Frei.Wild? Wie könnt ihr nur!“

J.B.O. spielen in diesem Jahr auf einem Festival, auf dem auch Frei.Wild spielen. Das passiert nicht zum ersten Mal, aber natürlich schlagen immer wieder Nachrichten via Facebook auf, die diesen Umstand einigermaßen unschön finden. Der Ton dieser Nachfragen ist dabei unterschiedlich, von ungläubig über verzweifelt bis zu hasserfüllt ist da immer wieder alles dabei. Aufgrund der verschiedenen Anfragen habe ich beschlossen, dass es keine dumme Idee wäre, einfach mal meine persönlichen Gedanken zu dem Auftritt aufzuschreiben.

Zuerst einmal eine kleine Beschreibung der Situation:

  • Irgendwann in den nächsten Wochen werden ich buchstäblich mein halbes Leben lang für J.B.O. den Onlinekram machen. Was diese Band angeht darf man mich also gerne als voreingenommen bezeichnen. Womit ich aber nichts zu tun habe, ist das Booking, daher ganz klar: Die folgenden Überlegungen sind meine persönliche Meinung, ob und in welchem Umfang die Band diese teilen sind eine ganz andere Frage, die man aber gerne den Musikern stellen darf ?
  • Frei.Wild halte ich persönlich nicht für Nazis, aber für eine Band mit gewissem Rechtsdrall und nationalistischen Texten, zu vorsichtigen und relativierenden Distanzierungen gegenüber rechtsextremen Tendenzen und ganz schrecklicher Musik.

Sehr häufig verlangen Fans von J.B.O. doch dieses Festival zu boykottieren, schließlich würde man durch eine Teilnahme indirekt auch Frei.Wild unterstützen. Außerdem würde man durch den Auftritt auf einem Festival zusammen mit einer Band wie Frei.Wild deren Rechtsdrall legitimieren oder sogar teilen. Manche gehen auch soweit und bezeichnen Frei.Wild und deren Fans gleich mal als Nazis.

Wie schon geschrieben: Trotz einschlägiger Vergangenheit einzelner Bandmitglieder und einiger verdammt dummer Äußerungen würde ich Frei.Wild nicht als Nazis bezeichnen. Klar, Wischiwaschi-Distanzierungen, bei denen gleich mal Rechtsextremismus mit Linksextremismus gleichgesetzt wird oder Antifa mit Linksextremismus, sind daneben, machen den Äußernden aber nicht zum Nazi, sondern zu einem Menschen mit einem Intelligenzproblem.

Und gegen scheiß Gleichmacherei von ANTIFA und rechtsextrem,
wer den Unterschied nicht schnallt, hat ein Intelligenzproblem!

WIZO, Ganz klar gegen Nazis
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Auch kenne ich inzwischen einige Menschen, die sowohl Bandmitglieder als auch Menschen aus dem Umfeld von Frei.Wild kennen und die keinen Grund hätten zu lügen, wenn sie sagen, dass die Band eben nicht rechtsextrem wäre. Aber trotzdem bleibt mein Eindruck, dass die Band nicht wirklich ein Problem damit hat, sich in einer gewissen (provozierenden) Grauzone aufzuhalten und ebensowenig auf Platten- und Merchverkäufe in die ganz rechte Ecke verzichten möchte. Und so etwas halte ich für reichlich dumm.

Zum Festival selbst fällt auf: Bei Rock Dein Leben wird ganz klar gesagt, dass man gegen Rassismus, Faschismus und Intoleranz sei, eine Ansage, die frei von Relativierungen und mir in so einer Deutlichkeit von Frei.Wild bislang nicht bekannt ist (wobei ich jetzt nicht jede Äußerung dieser Band verfolge).

Nun kommt die Forderung, J.B.O. sollten dieses Festival boykottieren. Weil Frei.Wild. Aber ist das wirklich Grund genug? Gar keine Frage, ich würde es sehr begrüßen, wenn ich nie ein Festival-Line-Up sehen müsste, bei dem J.B.O. oder eine andere von mir favorisierte Band zusammen mit einer Band wie Frei.Wild aufgeführt sind. Aber was würden denn passieren, wenn in Zukunft reihenweise Bands Festivals oder Veranstalter boykottieren würden, die mit Frei.Wild zusammen arbeiten?

Ich denke, das ist relativ simpel: Fans von Frei.Wild, die eben nicht rechtsextrem sind, sondern sich als „unpoliddisch“ bezeichnen oder sich politisch irgendwo rechts im demokratischen Spektrum auf dem Boden der Verfassung heimisch fühlen, würden sich dadurch als Nazis abgestempelt sehen. Das geht schnell. Und schon hätten wir eine wunderbare Opferrolle für diejenigen, deren Politpositionierung tatsächlich den demokratischen Rahmen nach rechts heraus verlässt. Und nicht nur das, sondern sehr viele würden sich mit diesen Leuten dann auch noch solidarisieren.

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Was wäre gewonnen? Wahrscheinlich nichts.

Und wenn J.B.O. spielen? Die Bands, die auf solchen Festivals spielen, können Haltung zeigen, können sich deutlich gegen Rechtsextremismus aussprechen, ob mit Ansagen oder in Songs verpackt. Immerhin reden wir ja hier von normalen Festivals, nicht von irgendwelchen Rechtsrock-Veranstaltungen, bei denen einschlägig bekannte (und teilweise vorbestrafte) Bands und Musiker rechtsextreme Propaganda betreiben. Wir reden von Festivals bei denen die Mehrheit der Besucher Menschen sind, die sich selbst nicht als Rechtsextreme sehen, fühlen und es auch nicht sind. Und wir reden darüber, was sicher sehr wichtig ist, denn wenn man darüber redet, dann ist das eine Gelegenheit über das ganze Thema nachzudenken – wenn man das denn möchte. Natürlich wird keine Band der Welt mit keinem Statement, egal wie gut formuliert, einen überzeugten Rechtsextremisten davon überzeugen, dass er auf einem vollkommen falschen Dampfer unterwegs ist. Aber alle anderen werden so einen Denkanstoss möglicherweise nutzen.

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Und dann gibt es noch ganz pragmatische Gründe gegen so einen Boykott: Wo soll der aufhören? Beim konkreten Festival? Bei allen Veranstaltern, die mit nicht genehmen Bands zusammen arbeiten? Bei den Promotern? Labels? Vertriebe? Dienstleister? Das ist irgendwann nicht mehr praktikabel.

Der Preis der Freiheit ist eben, dass es die Freiheit gibt ganz sonderbare und abwegige politische Meinungen zu haben und auch die Freiheit, ganz sonderbare und schreckliche Musik zu machen. So lange die Grenzen, die das Gesetz dabei zieht, nicht überschritten werden, muss man damit leben. Man muss es aber nicht still und leise erdulden, man kann gegen sonderbare und abwegige politische Meinungen argumentieren, demonstrieren und bei Wahlen dafür sorgen, dass andere Meinungen mehr Gewicht bekommen und man kann eben entscheiden, welche Musik man kauft. Und manchmal, wenn nur genügend Menschen laut und deutlich ihre Meinung sagen, bekommen auch Musiker Grenzen gesetzt, obwohl sie strafrechtlich vielleicht gerade noch so die Kurve bekommen haben (hat hier jemand Echo gesagt?).

Boykott wäre im Falle dieses Festivals eher so ein „Wir stellen uns schmollend in die Ecke und sind beleidigt“, aber unter den bestehenden Bedingungen teilzunehmen ist eben auch eine Teilnahme an der Diskussion. Außerdem: Muss man jetzt nicht davon ausgehen, dass Frei.Wild klar hinter der Ansage „gegen Rassismus, Faschismus und Intoleranz“ des Festivals stehen? Zumindest würde ich persönlich die Band daran messen wollen, wenn es mal wieder Diskussionen gibt und darauf achten, ob sie das dann auch so unmissverständlich und frei von Relativierungen vertreten.

Und was man auch nicht vergessen sollte: Auch wer vor 15 oder 20 Jahren in einer Nazi-Band gespielt hat, in der rechtsextremen Szene unterwegs war, kann trotzdem zwischenzeitlich das Denken angefangen haben und erkannt haben, dass das riesige Kackscheiße und ein Fehler war. So wie eben auch spätere Minister in ihrer Jugend Scheiße gebaut haben können und das später als falsch erkannt haben. Man kann natürlich auch jeden Fehler ewig vorhalten, aber besondern clever ist das nicht, schließlich machen wir alle Fehler…

One Comment

30 Jahre J.B.O. - 22 Jahre für mich › dobschat.io

[…] J.B.O. ist tatsächlich ein sehr viel größerer Teil meines Lebens geworden, als ich je dachte. Ich habe so viele Menschen durch die Arbeit für die Band kennengelernt, darunter solche, die ich tatsächlich als Freunde (also so wirklich, nicht im Sinne von Facebook-„Freundschaften“) nenne, manche davon sind inzwischen auch wieder raus aus meinem Leben und andere Menschen haben mir auch wegen J.B.O. die „Freundschaft“ gekündigt (zuletzt einer, der anscheinend ein Problem damit hatte, dass ich J.B.O. nicht daran hindern kann, auf einem Festival zu spielen, auf dem auch Frei.Doof spielen). […]