Das zumindest behauptet Carsten Linnemann:
Ich meine, wir haben große Raster angelegt für Rechtsextremisten, für Islamisten, aber offenkundig nicht für psychisch kranke Gewalttäter. Und das ist einfach ein großes Defizit in Deutschland.
Wir sehen das bei dem Talib A. Ich meine, Sie müssen sich mal vorstellen, er schreibt im Netz, Polizei ist Verbrecher, Islamkritiker ist er, spricht von einem USB-Stick. Er sagt, er will dieses Jahr sterben. Also wirklich, ja, psychisch krank.
Und für diese Typen haben wir keine Raster in Deutschland. Und da braucht es einfach einen Austausch der Behörden untereinander, der Sicherheitsbehörden, auch mit der Psychiatrie, mit Psychotherapeuten und vielem mehr. Das ist meine Lehre. Es reicht nicht aus, Register anzulegen für Rechtsextremisten und Islamisten, sondern in Zukunft sollte das auch für psychisch Kranke gelten.
Während er im ersten Satz noch von psychisch kranken Gewalttätern spricht, wird am Ende die Forderung eines Registers für psychisch Kranke daraus. Das alles am Beispiel des mutmaßlichen Attentäters von Magdeburg – dabei taugt er absolut nicht dafür. Linnemann selbst zählt Punkte auf, die zeigen, dass hier einfach die Behörden versagt haben. Talib A. war ja nicht still und heimlich irgendwo in Behandlung und man hätte das nur wissen müssen, nein, der hat seine Ideen öffentlich im Netz gepostet.
Aus diesem Versagen zieht Carsten Linnemann also die Lehre, dass es Register für psychisch Kranke bräuchte, so wie es sie für Rechtsextremist*innen und Islamist*innen gibt. Er stellt damit Menschen auf eine Stufe mit Terrorist*innen, deren einziger „Fehler“ es ist krank zu sein. Es ist also nicht schlimm genug, dass psychische Erkrankungen immer noch viel zu häufig ein Tabuthema sind und Betroffene stigmatisiert werden, nein, jetzt werden sie pauschal zur Gefahr erklärt. Statt also etwa 30% der Menschen in diesem Land zu helfen, sollen sie in einer Datenbank erfasst werden, damit man sie dann… ja was eigentlich? Was ist der Plan? Was soll mit diesen Daten passieren und wann und durch wen?
Die Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde e. V. hat ein paar Zahlen zum Thema psychische Erkrankungen und wenn man sich diese Zahlen anschaut, dann erkennt man sofort, dass hier dringender Handlungsbedarf besteht – dazu gehört aber keine Datenbank, die Betroffene unter Generalverdacht stellt, sondern Hilfe. Um nur mal ein paar Zahlen rauszugreifen:
- 27,8 % der erwachsenen Bevölkerung in Deutschland sind jedes Jahr von einer psychischen Erkrankung betroffen, das sind etwa 17,8 Millionen Menschen
- von diesen nehmen pro Jahr nur 18,9 % Kontakt zu Behandlerinnen und Behandlern auf
- 2022 haben sich etwa 10.100 Menschen in Deutschland umgebracht, zwischen 50 und 90% der Suizide sind auf psychische Erkrankungen zurückzuführen
- Nur 26 % der Menschen mit einer schweren Depression bekommen eine leitliniengerechte Behandlung, nur etwa 10 % eine Richtlinien-Psychotherapie
Die Zahlen machen deutlich, dass psychische Erkrankungen ein Problem sind, während und nach Corona ist die Zahl der Betroffenen auch nochmal deutlich gestiegen. Mindestens 5.000 Menschen haben sich 2022 aufgrund einer psychischen Erkrankung umgebracht und einem Carsten Linnemann fällt nichts besseres ein, als die Erfassung psychisch Kranker in einer Datenbank zu fordern, weil die Behörden die ganzen offensichtlichen und öffentlichen Hinweise auf die Probleme des Talib A. übersehen oder falsch eingeordnet haben? Was hätte in dem Fall denn ein Register gebracht? Welchen Nutzwert hätte eine Datenbank mit Millionen Daten von Menschen darin, die irgendeine psychische Krankheit haben?
Selbst wenn man dieses Register nur auf psychisch kranke Gewalttäter*innen beschränken würde: Wo wäre hier der Mehrwert? Sollte ein*e Patient*in einen Mord, Totschlag oder einen Terroranschlag im Rahmen einer Behandlung ankündigen, dann sind Psychiater*innen jetzt schon verpflichtet die geplante Straftat zu melden, hier gilt die ärztliche Schweigepflicht nicht mehr. Dafür braucht es also keine Datenbank. Und wenn jemand mit einer psychischen Erkrankung gar nicht deswegen in Behandlung ist, woher sollte dann ein Eintrag in so eine Datenbank überhaupt kommen?
Alles was Carsten Linnemann – und das garantiert nicht ohne Rückendeckung von Friedrich Merz – mit dieser Forderung erreicht, ist eine weitere Stigmatisierung psychisch kranker Menschen. Aber möglicherweise ist das ja genau so gewollt, schließlich führt eine Enttabuisierung des Themas und eine bedarfsgerechte Versorgung der Betroffenen am Ende ja vorübergehend zu weniger geleisteter Arbeitszeit. Carsten Linnemann hat ja schon behauptet, dass wir Deutschen ja alle viel zu wenig arbeiten würden. Langfristig wäre der Effekt ziemlich sicher gegenteilig, schließlich sind gesunde Menschen leistungsfähiger als kranke, aber dazu müsste man ja über den nächsten Wahltermin hinaus denken und diese Fähigkeit war bei Politiker*innen gerade der CDU/CSU noch nie sonderlich stark ausgeprägt.
BTW, was mich laut Carsten Linnemann zum Gefährder macht: Depressionen, ADHS, PTBS und generalisierte Angststörung.
Update: Ich war so wütend und nicht nur ich, sondern auch andere Menschen aus dem #HerzStattMerz-Team, dass wir noch was gemacht haben, nämlich das Linnemann-Register.
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