Befreiung

Ich wurde 1974 geboren, also eine ganze Weile nach dem Ende des 2. Weltkriegs.Seit ich mich erinnern kann, war der 8. Mai 1945 für mich persönlich ein Tag der Befreiung, die Erinnerung an diesen Tag ein Grund zum Feiern. Natürlich war dieser Tag für die meisten Deutschen, die ihn selbst erlebt hatten, ein Tag der Niederlage. Denn die Mehrheit der Deutschen hat nun einmal „Heil Hitler“ gebrüllt, an einen „Endsieg“ geglaubt oder zumindest auf diesen gehofft, um nicht für die Verbrechen, die von Deutschen und im Namen Deutschlands begangen wurden zur Rechenschaft gezogen zu werden.

Natürlich gab es auch damals Deutsche, die befreit wurden: Deutsche, die in Konzentrationslagern eingesperrt waren und die im Widerstand waren. Aber machen wir uns mal nichts vor. Natürlich möchte jeder gerne glauben, dass die eigenen Eltern und Großeltern im Widerstand gegen das Dritte Reich gewesen wären, wenn nicht offen, so zumindest doch irgendwie innerlich dagegen. Angesichts der Verbrechen, die begangen wurden, will natürlich jeder lieber Teil einer Opfer- als einer Täterfamilie sein. Ist aber nicht so. Aber das ist auch nicht wichtig.

Egal wie grausam die Verbrechen sind, die unsere Eltern, Onkel, Tanten, Großeltern und wer auch immer damals begangen haben mögen, wir sind weder Schuld daran noch müssen wir uns dafür individuell schuldig fühlen. Was wir aber müssen: Uns daran erinnern und kapieren, dass es unsere Verantwortung ist, alles zu tun, so etwas nie wieder zuzulassen. Diese Verantwortung tragen wir alle in diesem Land, ob in unserer Familie nun Opfer, Täter oder auch Unbeteiligte waren. Ja, Unbeteiligte, denn diese Verantwortung tragen alle, die hier leben, auch wenn sie erst nach 1945 aus welcher Ecke der Welt auch immer hierher gekommen sind.

Wenn jetzt dumme alte Männer etwas davon erzählen, dass der 8. Mai 1945 auch ein Tag der absoluten Niederlage gewesen wäre und er deswegen nicht zum Feiertag tauge, dann sagt das nur etwas über die Haltung dieser dummen alten Männer aus. Denn als Niederlage kann man diesen Tag nur empfinden, wenn man sich als Teil des besiegten Nazideutschlands sieht. Klar, Deutschland wurde besiegt, aber ein faschistisches Deutschland. Ein Deutschland, dass einen weiteren Weltkrieg begonnen hat, obwohl (oder gerade?) die Erinnerung an den ersten noch frisch war. Es wurde Deutschland besiegt, weil es besiegt werden musste, denn Deutschland war zu dem Zeitpunkt eine faschistische Diktatur.

Wer heute in diesem demokratischen Deutschland lebt, der kann den 8. Mai 1945 eigentlich nur als Tag der Befreiung sehen. Alle, die wir später geboren wurden, wurden wir an diesem Tag pränatal davon befreit in eine faschistische Diktatur hinein geboren zu werden. Natürlich war nach diesem Tag nicht alles gut, es war danach ein langer Weg, der teilweise einfach nicht konsequent bis zum Ende gegangen wurde (weil man lieber auf eine „biologische Lösung“ warten wollte, statt „die alten Geschichten aufzuwärmen“), es gab andere Diktaturen, anderes Unrecht – aber heute, 75 Jahre später, leben wir in einem freien, einem demokratischen Land, mit einer funktionierenden Gewaltenteilung und können es uns erlauben auf recht hohem Niveau über die Defizite und Unzulänglichkeiten unseres Staates zu diskutieren.

Wann in der Geschichte der Menschheit, hat ein Land durch eine Niederlage so verdammt viel gewonnen? Mir fällt da kein anderes Beispiel ein…

Und darum: Ja, für die meisten Deutschen damals war der 8. Mai 1945 eine Niederlage und ja, es gab auch danach noch Unrecht, aber wer heute, 75 Jahre nach diesem Tag, der Meinung ist, der 8. Mai sollte kein Feiertag sein, weil es (auch) ein „Tag der absoluten Niederlage“ sei, dem ist echt nicht mehr zu helfen.

Beitragsbild von Eveline de Bruin auf Pixabay

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