Scheiß Depressionen

Warnung: Im folgenden Text geht es um meine Depressionen. Wer so etwas also nicht lesen möchte: Klick woanders hin.

Deutlich über die Hälfte meines Leben schlage ich mich jetzt mit Depressionen und Angststörungen rum, mal war es besser, mal schlechter, in den letzten Jahren ist es nur noch schlechter geworden, die depressiven Episoden dauerten immer länger und inzwischen fehlt mir jede Kraft es noch irgendwie zu überspielen. Lag vielleicht auch an Corona und dem ganzen Mist, da ist einfach auch viel bei verloren gegangen, was mir früher noch Energie gegeben hat (ja, ich spreche von Konzerten). Inzwischen habe ich einen Punkt erreicht, an dem ich nur noch irgendwie funktioniere. Freude und Spaß? Ja, kann mich daran erinnern, aber es sind inzwischen nur noch wenige Momente, in denen es meine Katzen und sehr sehr wenige Menschen schaffen, mich mal ein wenig aus den düsteren Gedanken rauszuziehen.

Mit vielen Menschen rede ich auch nicht wirklich darüber, wie es mir geht. Die meisten stehen mir dazu einfach nicht nahe genug, aber trotzdem zu nahe und die, die mir wirklich nahe stehen, wollte und will ich mit meinem Scheiß nicht belasten, die haben ja meist genug eigenen Scheiß in ihrem Leben, den sie bewältigen müssen. Interessanter Punkt dabei: Wenn sie es dann merken, dass ich ihnen nicht alles sage, dann machen sie sich erst Recht Sorgen, fragen nach, ich will nicht reden, sie fragen weiter, es gibt Streit… keine Ahnung, ob das jemand nachvollziehen kann. Fällt ja schon mir oft genug schwer mich selbst zu verstehen 🤷🏻‍♂️

Ja, ich bin auch wieder in Therapie, habe aktuell mal wieder neue Antidepressiva und hoffe, dass die irgendwann auch mal mehr als nur nebenwirken und gegen beginnende Panikattacken habe ich immer lustige Beruhigungsmittel dabei. Zwei verschieden starke, ich nenne sie „scheißegal“ und „scheißegal+“ 😉 Der letzte Versuch mit Antidepressiva endete weniger erfolgreich, die Nebenwirkungen waren sehr viel heftiger als die Wirkung, das hat keinen Sinn ergeben. Möglicherweise ginge es mir heute besser, wenn ich da dann konsequent weitergemacht hätte, andere Medikamente probieren, Verhaltens- und Gesprächstherapie – aber das habe ich nicht. Fragt mich um Gottes Willen nicht wieso, ich denke ja auch, dass das eine doofe Entscheidung war. Aber ihr erwartet nicht ernsthaft von jemandem mit Angststörungen immer nur vernünftige Entscheidungen? Diesmal will ich es ja besser machen. Nein, ich muss es besser machen.

Apropos „Beruhigungsmittel dabei“: So weite Wege gehe ich ja auch nicht mehr wirklich. Hin und wieder ins Büro (aber meist Homeoffice, weil ich da Ruhe habe um zu arbeiten), noch seltener einkaufen (es lebe Flink) und die Woche habe ich es nach Monaten endlich geschafft mal zu Fielmann zu gehen wegen einer neuen Brille. Das und eben die Besuche bei Ärzt:innen und dem Psychiater, das war es auch schon. Zwei mal in den letzten Monaten habe ich mich dann auch mal dazu überreden lassen zu Konzerten zu gehen, aber so richtig wohl habe ich mich dabei auch nicht mehr gefühlt. Die letzte solche Veranstaltung, bei der ich mich wirklich wohl gefühlt und Spaß gehabt hatte war das Reload. Immerhin.

Durch den ganzen Corona-Kack war ja eh schon viel Homeoffice, als ich dann auf dem Roller (sagt was ihr wollt, ich finde diese E-Roller eine tolle Sache) stand und auf eine ziemlich heftig befahrene Kreuzung zufuhr, da hatte ich bei der roten Ampel kurz überlegt einfach nicht zu bremsen. Einfach weiterfahren und darauf bauen, dass die Autofahrer:innen schon nicht so schnell reagieren würden. War für einen kurzen Moment ein sehr verlockender Gedanke, das gebe ich zu. Wie sich alle denken können: Ich habe gebremst. Zur Sicherheit habe ich mich dann aber einige Zeit zu Terminen ins Büro fahren lassen. Und da ist es raus: Ja, ich hatte und habe Suizidgedanken. Immer mal wieder, mal nur so ein kurzer Gedanke in einer Situation wie der auf dem Roller, mal liege ich stundenlang im Bett und denke darüber nach, es einfach zu beenden. Aber nein, im Moment nicht!

Ich habe es aber nicht getan und auch nicht versucht. Was mich definitiv davon abhält sind ein paar Menschen, denen ich damit wirklich sehr weh tun würde (und denen ich dank meiner verdrehten Psyche schon viel zu oft weh getan habe) und dann habe ich ja auch eine gewisse Verantwortung für die Menschen, die für mich arbeiten. Und die Katzen natürlich. Die haben jetzt so lange gebraucht, um sich an mich zu gewöhnen, denen kann man doch keinen neuen Dosenöffner zumuten. Außerdem habe ich ja noch reichlich Arbeit auf meiner To-Do-Liste, die würde am Ende auch noch liegen bleiben.

Für mich am schlimmsten an den Depressionen, meinen Angststörungen und was die aus und mit mir machen: Ich bin nicht doof. Doof zu sein würde es wahrscheinlich einfacher machen, weil ich dann nicht darüber nachdenken und selbst erkennen könnte, dass etwas bei mir im Kopf schief läuft. Es ist unfassbar frustrierend genau zu wissen, dass da gerade etwas absolut nicht richtig läuft, man das aber bestenfalls nur ganz wenig beeinflussen kann – und das kostet dann so unfassbar viel Kraft, die aber in dem Moment gar nicht da ist.

Warum ich das alles hier aufschreibe? Vielleicht, um anderen Menschen mit Depressionen ein bisschen die Angst davor zu nehmen, offen darüber zu sprechen. Man hat ja manchmal den Eindruck, dass Menschen offener über ihre (ausgestandenen) Geschlechtskrankheiten sprechen als über psychische Erkrankungen. Und einfach auch nur, um es mal aufgeschrieben zu haben. Wer weiß, wozu es gut ist… möglicherweise lesen es ja ein paar von den Menschen, die nichts von meinen Depressionen wussten und inzwischen wahrscheinlich denken, dass ich etwas gegen sie hätte (Spoiler: Sehr wahrscheinlich ist dem nicht so, denn wenn ich Menschen wirklich nicht leiden kann, dann sage ich das denen für gewöhnlich auch), obwohl ich nur nicht so konnte und kann, wie ich sollte und will.

Und danke allen Menschen, die mich trotz meines verdrehten Hirns nicht aufgegeben haben.

Beitragsbild von Rudy and Peter Skitterians auf Pixabay

9 Comments

@dobschat Das Thema verdient mehr Öffentlichkeit, mehr Selbstverständlichkeit. Depressionen stehen als Erkrankung leider immer noch im Schatten und lösen oft betroffenes Schweigen aus. Solche Beiträge helfen dabei ein besseres Verständnis dafür zu bekommen. Vielen Dank für den wichtigen Beitrag. Ich wünsche dir gute Besserung.

Markus Sänger

Du bist nicht allein mit dieser Krankheit, Carsten. Viele meiner Freunde leiden unter dieser Scheiße, und die wenigsten reden darüber, daher sind solche Blogposts so so so wichtig! Ich wünsche Dir ganz viel Kraft, denn die Welt braucht mehr Menschen wie Dich!

Ich wünsche dir auf alle Fälle eine gute und helfende Therapie. Zum Thema mit engen Freunden darüber reden: Ich würde dich gerne ermutigen das zu probieren, denn es liest sich so als hättest du Freunde, Bekannte oder Verwandte die sich um dich sorgen, die dir gerne zuhören und evtl. auch helfen würden, wenn du ihnen die Chance dazu gibst. Und bei solchen engen Kontakten ist es eher so, dass du ihnen etwas Gutes tust wenn du dich ihnen öffnest, anvertraust und damit auch von deiner Seite aus die Nachricht: “Ich wertschätze dich als engen Freund, daher öffne ich mich dir gegenüber” überbringst.

Daher würde ich dich gerne dazu ermutigen das einmal auszuprobieren.

Danke für Deine Offenheit, Carsten, vieles davon könnte ich selbst geschrieben haben.

Eine Gesprächstherapie kann ich Dir wirklich warm ans Herz legen, denn es war ausgesprochen befreiend mich zwei Jahre lang jede Woche auskotzen zu können, ohne das Gefühl zu haben, jemand nahestehenden damit zu belasten oder Angst haben zu müssen, dass das Erzählte mir mal wie ein Boomerang um die Ohren fliegen könnte. Da sitzt jemand, dessen Job es ist, zuzuhören und Impulse oder Rat zu geben, jemand der dafür bezahlt wird, genau das zu tun. Ein Coach quasi.

Ich würde es jetzt auch gern wieder machen, wenn es nicht so schwierig wäre eine:n Therapeuth:in zu finden.
Mit Deinem Hintergrund könnte es aber einfacher sein.

Derweil hangle ich mich mit meinem AD und meinem SRI durchs Leben und funktioniere damit gut genug, und positives wahrzunehmen und Maßnahmen durchzuhalten, wie zb mindestens 1x die Woche zum Sport zu gehen.

Dabei ist das Training selbst Pillepalle, es ist vor allem Anlass vor die Tür zu gehen. Und das ist für mich das Wichtigste: Ich MUSS raus. Ich liebe mein Home Office zu sehr. Mir geht es besser wenn ich 1x die Woche den (für mich) langen Weg nach Hamburg machen muss, denn das reißt mich aus der Lähmung.

Meist verbinde ich es mit einer Übernachtung bei meiner sehr guten Freundin, die mich auch wenn ich dumpf bin erträgt. Das ist so wertvoll für mich.

Ich wünsche Dir gute Begleitung aus der Trübe (dieser graue Januar hilft nicht gerade bei der Wegfindung) und dass Du die Kraft findest, Dich auf solche Begleitung einzulassen.
Männern fällt das häufig besonders schwer /klischee.

Go, Carsten, geh Dich retten lassen. ☀️
Schrittchen für Schritt für Sprung. Ich glaube an Dich. (Ich brauche Dich außerdem für meine gehimmelten Websites 😼)

Herzliche warm leuchtende Grüße, ☀️
Sandra

Ja was soll ich sagen, ich kenne jedes Detail davon🙏 Den Artikel finde ich klasse, toll das du so offen damit umgehst!

Da ich ein ehm. Kollege in allen belangen bin moechte ich sagen, fuehl dich gedrueckt, arbeite weiter an dir und such neue Wege und Antworten🍀 Ixh gaube und Hoffe fest daran das du es packen wirst! Auch wenn du daran im Moment nicht glaubst, ich kenne den Gedankenwahnsinn sehr gut u kann heute Jahre spaeter nicht glauben wie heftig es kahrelang war 🙏🙏

Hier meine Zeilen zu meiner Geschichte🍀✅

http://www.gegendastabu.de

Liebe Gruesse und viel Kraft🙏🙏🍀🍀

George

Zwei Jahre Untermieter - dobschat.io

[…] In den letzten Monaten hatten die beiden einen enormen Anteil daran, dass ich das durchgestanden habe. Den beiden konnte ich nicht vormachen, dass es mir gut ginge – und je schlechter es mir ging, desto mehr waren beide in meiner Nähe. Da hat dann Pepper auch mal statt neben mir im Bett auf meinem Bauch gelegen. […]

Kleines Update - dobschat.io

[…] ist ein bisschen was passiert, seit ich den etwas ausführlichen Beitrag zu meinen Depressionen geschrieben habe. Es haben sich ziemlich viele Menschen bei mir (wieder) gemeldet. Selbst Menschen, […]