Ja, ich kann verstehen, dass Marek Lieberberg gestern sauer war. Wäre ich an seiner Stelle auch. Und ja, ich kann auch voll und ganz verstehen, dass er es unbegreiflich findet, dass anscheinend bei Fußball und bei Festivals mit zweierlei Maß gemessen wird. Gar keine Frage, da hat er Recht. Aber dann steigert er sich in einen Bullshit rein, bei dem ich einfach nur noch kotzen möchte. Es müsse Schluss sein mit „This is not my Islam“ oder „This is not my shit“, er wolle endlich mal Demos sehen, die sich gegen diese Gewalttäter richten würden. Na das wäre ganz einfach: Augen aufmachen! Aber leider hat Marek Lieberberg hier gestern Abend in seiner Wut – die ich verstehen kann – den rechten Hetzern neues Material geliefert. Anderen Feinden eines friedlichen Zusammenlebens, unserer Rechtsstaats und der Menschenrechte, die sich von Islamisten nicht wesentlich unterscheiden. Leider hat Marek Lieberberg etwas getan mit seiner Rede, was absolut kontraproduktiv ist und den Faschisten aller Geschmacksrichtungen in die Hände spielt: Er stellt eine Gruppe unter Pauschalverdacht.
https://www.facebook.com/rockamringblog/videos/1592695240765026/
Fakt ist: Es gab und gibt Demos von Muslimen gegen Terror und Gewalt. Immer wieder. Einfach zum Beispiel mal bei Twitter nach dem Hashtag #MuslimeGegenTerror suchen. Ganz abgesehen davon, dass Muslime regelmäßig an verschiedenen Demos gegen Hass, gegen Gewalt teilnehmen. Aber immer und immer wieder kommt nach einem islamistischen Anschlag oder auch nur dem Verdacht eines möglichen, vielleicht geplanten Anschlags mit islamistischem Hintergrund der Ruf nach den Muslimen, die sich „endlich“ distanzieren und ein Zeichen setzen müssten.
Das ist nicht nur lächerlich, weil es solche Distanzierungen und Zeichen immer wieder gibt. Es ist auch deswegen lächerlich weil niemand fordert, dass „die Deutschen“ nun endlich mal ein Zeichen setzen müssten und gegen NSU, brennende Asylbewerberheime und die tagtäglichen Angriffe auf vermeintliche Ausländer, Homosexuelle oder Andersdenkende auf die Straße gehen müssten. Kein vernünftiger Mensch käme auf die Idee zu sagen, dass alle Deutschen, die nicht auf jede Demo gegen Nazis gehen, selbst Nazis wären oder diesem Pack heimlich zustimmen würden. Aber Muslime, die nicht sofort mit einem „Aber ich bin doch auch gegen Terror“-Schild auf die Straße hüpfen, werden immer wieder unter Generalverdacht der Sympathie für Islamismus gestellt. Oder sympathisieren alle Christen, die nicht auf Demos gegen den Terroranschlag von Anders Breivik waren automatisch mit seiner kranken Auffassung von Christentum?
Natürlich könnte man noch anmerken, dass dem islamistischen Terror weltweit in überwiegender Zahl Muslime zum Opfer fallen. Aber es geht hier nicht um das Aufrechnen, es geht hier darum, dass es um Menschen geht. Egal ob Christ, ob Muslim, ob strenggläubig, nur ein bisschen gläubig oder auch nur aus Tradition Teil einer religiösen Gruppe, die absolut überwiegende Zahl der Menschen auf diesem Planeten will in Frieden, ohne Terror leben. Und es gibt Idioten, die faschistischen Ideologien anhängen. Die sind eine Minderheit, aber eine Minderheit, die in ihrem Fanatismus für die Mehrheit und das friedliche Zusammenleben der Menschen gefährlich sind. Und dabei ist es egal, welcher faschistischen Ideologie diese Idioten anhängen, ob es Islamismus oder Rassismus ist, ob man als Begründung für die Ideologie nun irgendwelche tausende Jahre alte Texte interpretiert oder einfach mal behauptet, dass Menschen aufgrund ihrer Herkunft mehr oder weniger wert wären – das alles macht keinen Unterschied!
Nein, nicht „die Muslime“ müssen aufstehen und ein Zeichen gegen Islamismus setzen, alle Menschen, die in Frieden und Freiheit leben wollen, müssen ihren Arsch hochbekommen und dafür einstehen, müssen sich – ob auf Demos oder wichtiger noch im täglichen Umgang miteinander – für dieses friedliche Zusammenleben einsetzen und gegen alle aufstehen, die das bedrohen. Egal aus welcher Ecke die Bedrohung kommt! Und es muss endlich aufhören, dass Menschen, wie gestern Marek Lieberberg, durch solche pauschalen Vorwürfe gedankenlos den Hass schüren und den Arschlöchern egal auf welcher Seite damit helfen.
Denn die Islamisten lachen sich doch jedes Mal einen, wenn wieder jemand die Muslime unter Generalverdacht der Sympathie für Islamismus stellt, denn es spielt ihnen in die Hände. Jedes Mal, wenn Muslime wieder pauschal für den Islamismus verantwortlich gemacht werden, hat irgendein islamistischer Nachwuchswerber ein neues Argument, um einen Menschen hin zu seiner Ideologie zu manipulieren: „Siehst du, die da, die wollen dich nicht, die sind gegen dich, weil du ein Muslim bist!“ Und jedes Mal hat dann auch irgendein rassistischer Möchtegern-Adolf wieder die Gelegenheit sich auf die angebliche Zustimmung von Menschen zu beziehen, die nichts mit Rassismus am Hut haben: „Siehst du, auch der Marek Lieberberg sagt doch, dass die Muslime eigentlich alle Islamisten sind!“
Ja, es gibt ein „Wir gegen die“, aber „die“ sind nicht die Muslime und „wir“ sind nicht die Nicht-Muslime. Das „Wir“ sind alle Menschen, die friedlich miteinander leben wollen, als Nachbarn im gleichen Haus, in der gleichen Straße, der Stadt, dem Land – auf diesem Planeten. Und „die“ sind die Arschlöcher, die das verhindern wollen, die sich persönliche Vorteile davon versprechen, wenn sie Menschen aufhetzen. Und es ist in beiden Fällen egal, welchen Glauben jemand hat, wo jemand geboren ist, wo die die Eltern her kommen, welche Hautfarbe oder sexuelle Präferenz jemand hat. Es gibt „die“ in allen Glaubens- und Geschmacksrichtungen, so wie auch „wir“ keine homogene Gruppe sind, sondern ein sehr bunter und vielfältiger Haufen von Menschen. Und „wir“ sind die Mehrheit, das bleiben wir aber nur, wenn wir uns nicht trennen und aufteilen lassen. Nicht von den Arschlöchern direkt und auch nicht, indem wir ihnen ungewollt bei ihrer Hetze helfen.
Und eine Bitte an Marek Lieberberg habe ich noch: Sollte jemals wieder eine Situation eintreten, bei der eine seiner Veranstaltungen wegen eines Terrorverdachts abgebrochen oder unterbrochen werden muss – was hoffentlich nie wieder passieren wird – dann bitte ein Beispiel nehmen an den „Rock am Ring“-Besuchern in diesem Jahr, die gestern Abend das Gelände friedlich und gemeinsam singend verlassen haben. So geht man mit so einer Situation richtig um: singen und das Beste daraus machen!
Add your first comment to this post