Junger Mann, muskulös…

„Was sind das denn für Idioten?“ war am Dienstag mein spontaner Gedanke, als das mir entgegenkommende Zivilfahrzeug plötzlich die Fahrbahnseite wechselte und sich vor mir quer stellte. Ich rechne ja grundsätzlich inzwischen mit fast allem bei der Teilnahme am Strassenverkehr, dass sich mir auf einem eScooter aber ein Auto so in den Weg stellt hatte ich nicht auf der Liste. Eher hätte ich gedacht, dass irgendein Spinner auf die Idee kommt Menschen auf eScootern über den Haufen zu fahren.

Mein nächster Gedanke war dann „Was soll jetzt der Scheiß?!“ als die beiden – in Zivil – schreiend aus dem Auto sprangen und auf mich zurannten: „Polizei! Stehen bleiben! Auf den Boden!“ und schon war ich auf dem Boden, ein Knie im Rücken, Arme auf selbigen und fragte laut „Was soll das jetzt bitte?! Und aufpassen mit dem Rucksack, das MacBook da drin kostet ein paar Euros!“

Tja, laut den beiden Herren passte die Beschreibung eines Menschen auf mich, der wohl mutmaßlich kurz vorher bei Rossmann etwas geklaut haben und auf einem eScooter geflüchtet sein soll. Ein „junger Mann, muskulös, kurze Hose, schwarzes Shirt“ soll das gewesen sein. Jetzt frage ich mich natürlich: Wenn der wirklich nur was geklaut hat, also Ladendiebstahl, dann wäre die Art und Weise auf die ich angehalten wurde vielleicht ein ganz klein wenig überzogen gewesen? Hätte es sich aber um einen bewaffneten Überfall gehandelt, dann wäre die Aktion möglicherweise nicht überzogen gewesen, weil sie dann von einem bewaffneten Tatverdächtigen ausgehen mussten, aber was für ein Vollidiot würde nach einem bewaffneten Überfall mit einem eScooter fliehen?!

Nach der Kontrolle meiner Personalien stellten die beiden dann auch noch fest, dass mein Roller ja mintgrün war und nach einem schwarzen Roller gesucht würde. Aber „junger Mann, muskulös“? Ich werde ja häufiger auf „fast 40“ geschätzt statt der fast 50, die ich bin, aber auch bei dem Alter wäre „junger Mann“ nicht das erste was mir als Beschreibung einfallen würde. Beim Thema muskulös… äh ja, aber nein, es sei denn die beiden haben einen Röntgenblick und konnten mein Sixpack unter dem Speckmantel sehen 😂

Am Ende ein paar Kratzer am Knie, die rechte Schulter ein wenig gezerrt (wenn ich gewusst hätte, was auf mich zukommt, dann hätte ich mich vorher natürlich gedehnt, klar), mehrere Entschuldigungen der beiden Polizisten und einige Frage. Die erste Frage: Bestätigt mir die Polizei Oldenburg schriftlich, dass ich auf Basis der genannten Personenbeschreibung… äh… angehalten wurde? Nein, tut sie nicht. Die Polizistin am Telefon konnte meinen Wunsch zwar verstehen, mir eine solche Bestätigung auszudrucken und einzurahmen, aber es gäbe dafür keine rechtliche Handhabe.

Anschließend mit verschiedenen Juristen gesprochen, nicht unbedingt wegen der schriftlichen Bestätigung, aber mich würde ja schon interessieren, was dem Verdächtigen denn nun vorgeworfen wurde und ob der Einsatz so wie er lief wirklich verhältnismäßig war oder ob nicht gereicht hätte mich ganz normal anzuhalten, Personalien zu checken und sich zu versichern, dass ich weder jung noch muskulös bin und mein eScooter auch nicht schwarz ist. Tja, die Antworten waren ernüchternd. Die Optionen seien eine Anzeige wegen Körperverletzung im Amt – dann müsste ich aber direkt mit Gegenanzeige rechnen wegen Widerstands und im Zweifel würde das eher schlecht für mich ausgehen, da die zu zweit waren, ich alleine und sich in solchen Fällen nur selten unabhängige Zeug:innen finden würden. Aber hey, mir geht es ja nicht um eine Anzeige, sondern nur um Informationen, aber selbst bei einer einfachen Anfrage nach den Hintergründen müsste ich mit einer Gegenanzeige rechnen.

Und warum? Weil es nun einmal sehr häufig so sei, dass der Versuch so eine Sache zu klären als „Angriff“ auf die Polizei gesehen würde und man dort mit „Gegenmaßnahmen“ reagieren würde. Nein, das passiert nicht immer, aber es passiert wohl häufig genug, dass mich drei Anwälte unabhängig voneinander vor diesen möglichen Konsequenzen gewarnt haben. Echt jetzt?

Polizist:innen sind Menschen. Speziell ausgebildete Menschen natürlich, aber keine Ausbildung der Welt verhindert, dass mensch auch mal falsch reagieren kann. Aber wenn man darüber nachdenkt, mal klären zu lassen, ob so ein Einsatz vielleicht ein Stück übertrieben war, wird man gewarnt, dass das übel für einen selbst ausgehen könnte, wenn man Pech hat?!

Und bevor die ersten „So was weiß man doch“-Kommentare kommen: Ja, ich kenne natürlich die Berichte von Fällen, in denen Betroffene über Gegenanzeigen zum Schweigen gebracht werden sollten usw. Keine Frage. Aber warum zum Fick gibt es immer noch keine Möglichkeit einer neutralen Stelle möglicherweise nicht optimal gelaufene Polizeiaktionen zu melden, damit die überprüft werden und zumindest mal dafür gesorgt wird, dass sich jemand diese Fälle anschaut und für den Fall, dass hier falsch gehandelt wurde dafür sorgt, dass die beteiligten Polizist:innen das auch erfahren und daraus lernen können?

Mir geht es ja nicht um Schmerzensgeld, ich will auch nicht der Polizei insgesamt irgendwas unterstellen und mir geht es auch nicht darum, dass den beiden Polizisten irgendwelche Strafen aufgebrummt würden, am Ende ist ja nichts wirklich schlimmes passiert (dass ich nach Wochen wieder mal Panikattacken hatte war natürlich nicht so schön, aber da habe ich so viele Trigger, früher oder später kommt da immer wieder mal eine, dafür habe ich ja Scheißegal und Scheißegalplus immer dabei), aber aus Fehlern sollte man lernen. Es hat einen Grund, warum wir uns jedes Projekt immer nach Abschluss sehr genau anschauen und gemeinsam checken was gut, was weniger gut gelaufen ist und welche Fehler wir gemacht haben – um daraus zu lernen und Fehler im Idealfall nicht zu wiederholen. Bei uns geht es nur um Websites, im schlimmsten Fall kosten unsere Fehler Geld – in anderen Berufen sind die möglichen Schäden deutlich höher: Gesundheit und Leben von Menschen.

Beitragsbild von Alexa via Pixabay mit einem per „KI“ erzeugten Hintergrund

One Comment

Ein Lessons Learned. Das kenne ich nur zu gut. Viele wollen es, kaum einer macht es. Wobei ich persönlich viel davon lerne, aber ich mache das eher unter mich aus als zu versuchen es in eine bestimmte Form zu gießen.