Netzpolitik und die Piratenpartei

Der Auftritt von Günther Oettinger bei der 10ten re:publica hat mich mal wieder über das Thema „Netzpolitik und die Piratenpartei“ nachdenken lassen. Denn immerhin waren es ja Themen rund um das Netz, die dazu führten, dass sich Menschen quasi schon genötigt gefühlt haben, eine Partei zu gründen. „Politik aus Notwehr“ ist nicht nur der Titel des Buches eines Ex-Piraten, es war auch die Antwort vieler Piraten auf die Frage, warum sie denn nun in einer neuen Partei politisch aktiv geworden sind. 
Gebracht hat es nur leider gar nichts, obwohl doch reichlich gute Ideen da waren. Unsere Demokratie sollte ein Update erhalten mit basisdemokratischen Elementen – aber innerhalb der Partei haben wir es selber nicht geschafft, da ein System aufzubauen. Liquid Feedback? Ja, die Software hat wohl soweit funktioniert, aber es herrschte nur Einigkeit darüber, dass man sich nicht einige werden konnte, wie genau das System einzusetzen sei. Sollte man seine Stimme an einen selbst ausgewählten Vertreter weiter geben können? Würde das nicht die Gefahr von „Super-Piraten“ schaffen, die im Alleingang einzelne Abstimmungen entscheiden können?
Den einen war das alles viel zu flüssig, den anderen zu wenig und am Ende kam dann noch der Datenschutz: Immerhin sollte das Abstimmungssystem fälschungs- und manipulationssicher sein, aber trotzdem komplett anonym, so dass niemand, also wirklich niemand, unter keinen Umständen nachvollziehen könnte, wer wann wie gestimmt hat oder auch nur gestimmt haben könnte. Dein eigenen Admins vertrauen? Niemals! Und schon gar nicht den selbst gewählten Vertretern…
Überhaupt, die Sache mit dem Vertrauen. Vertrauen war innerhalb der Piratenpartei Mangelware. Wenn es am Anfang noch den einen oder anderen Vertrauensvorschuss gab, haben einige Piraten diesen so gründlich verspielt, dass man manchmal den Eindruck hatte, man wäre nicht in einer Partei, sondern in einer politischen Arena, in der das Highlander-Motto gilt: „Es kann nur einen geben!“. War man anfangs noch massiv gegen Hinterzimmer-Politik, lernten viele Piraten sehr schnell, dass diese Art der Politik schnelle Resultate bringen kann. Zumindest, wenn es darum geht sich selbst in eine günstige Position zu bringen oder Parteifreunde mit anderen Meinungen weg zu mobben.
Und Gründe sich gegenseitig an die Gurgel zu gehen gab es immer, im Zweifel wurden diese gesucht und wenn man nur lange genug sucht, dann findet man auch etwas. Und sei es, dass eine Gliederung oder eine Fraktion anfing Infos auch über Facebook zu verbreiten. Facebook ist böse, also dürfe man dort nicht mal die Infos weiter verteilen, die man unter die Leute bringen will. Jetzt könnte man natürlich sagen: „Hey, die Menschen sind nun mal auf Facebook, also sollten wir doch versuchen auch die Menschen dort zu erreichen, die wir auf anderen Wegen nicht, zumindest nicht so leicht erreichen.“, aber das wäre dazu einfach und logisch gewesen. Es gab tatsächlich umfangreiche Diskussionen darüber, ob Pirateninfos über Facebook verbreitet werden dürften oder nicht. Am liebsten wurde so was natürlich in aller Härte und öffentlich bei Twitter ausgetragen…
Und es war ja nicht nur so, dass sich Piraten auf Twitter in aller Öffentlichkeit bekriegt haben – oftmals sah es so aus, als würden Piraten viel lieber und leidenschaftlicher aufeinander statt auf den politischen Gegner los gehen – es lief auch noch viel hintenrum. Und dabei war manchen Menschen kein bescheuertes Gerücht zu dämlich, um es zu verbreiten.
Da gab es dieses „Leo-Skull-Gate“. Ich wurde damals von der Piratenfraktion im Landtag gefragt, ob ich ihnen bei der IT-Betreuung unter die Arme greifen würde. Habe ich gerne gemacht und es gab auch einen Freundschaftspreis dafür. Für netto 250 Euro im Monat durften sie mich jederzeit nerven, wenn irgendwas nicht so rund lief, wie es sollte – so lange es mit den Rechnern zu tun hatte. Wer die Marktpreise kennt, der weiß, dass dieser Pauschalbetrag alles andere als marktüblich ist, sondern sehr weit darunter liegt. Aber hey, ich war ja Pirat und ich wollte an der Sache nichts verdienen.
Was dann folgte war bestenfalls unglaublich: Im Finanzbericht der Fraktion stand nun also in einem Absatz, dass die IT-Betreuung von „Carsten Dobschat / Leo Skull“ gemacht würde – es war also öffentlich. Dummerweise wurde dann aber in der auf diesen Absatz folgenden Tabelle nur „Leo Skull“ geschrieben. Kleinigkeit? Denkste: Es gab die wildesten Gerüchte und Anschuldigungen, hier mal ein paar Highlights:

  • ich würde keine korrekten Rechnungen stellen, das wäre logisch wegen der Benennung in der Tabelle – nun gut, mein Steuerberater/Buchhalter und das Finanzamt sahen und sehen das anders
  • die Fraktion hätte versucht zu vertuschen, dass ich den IT-Kram mache – obwohl es doch sowohl im Finanzbericht stand, als auch in meine Weblog und es ja eigentlich allgemein bekannt war
  • Und als Krönung: die Abgeordneten und ich hätten auf diesem Weg die 250 Euro illegal beseite geschafft und uns geteilt – 250 Euro, geteilt durch 5, das wären 50 Euro pro Nase, eigentlich weniger, schließlich müsste man in so was den Fraktionsgeschäftsführer einbeziehen

Und es gab tatsächlich Leute, die so einen offensichtlichen Quatsch geglaubt haben. Selbst aus der Angie-Zitronenpressen-Spende von J.B.O. für den Bundestagswahlkampf wurde versucht irgendwas zu konstruieren. Man hätte sich ja auch einfach freuen können…
Klar, das sind nur einzelne Beispiele und es gab (und gibt) bei den Piraten auch viele Menschen, die wirklich politisch arbeiten wollten und wollen. Aber gefühlt waren wir die ganze Zeit über zu 90% mit uns selbst beschäftigt. Natürlich hatten wir auch Probleme mit irgendwelchen Vollidioten, wie sie jede neue Partei anzieht und es gab auch Medien, die fleissig gegen die Piraten angeschrieben hatten. Aber die Hauptursache für das Scheitern der Piratenpartei waren wir selbst (nö, da nehme ich mich so wenig von aus, wie alle anderen: mitgegangen, mitgefangen). Wir haben viel zu viel Zeit in sinnlosen Diskussionen über uns selbst verbracht.
Und das ist verdammt traurig, gerade wenn man sich anschaut, wie es in Sachen Netzpolitik in Deutschland und Europa aussieht. Wenn es ein Herr Oettinger nicht für nötig hält, sich auf einen Talk auf der re:publica, dem Klassentreffen der „Netzpolitik-Taliban“, inhaltlich vorzubereiten und einfach weiter seinen Quatsch erzählt. Wenn Themen wie Netzsperren, Vorratsdatenspeicherung usw. immer und immer wieder neu kommen. Irrwitzige Dinge wie ein Leistungsschutzrecht für Presseverlage, das jetzt auch nach Europa kommen soll. Eigentlich bräuchte es hier eine Partei, die sich das Thema Netzpolitik auf die Fahnen… eigentlich.

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