Amadeu Antonio Stiftung: Hatespeech, Meinungsfreiheit und Zensur

Diese ganze Diskussion um die angebliche Zensur der Meinungsfreiheit durch die Kampagne gegen Hatespeech hat mich bislang nicht wirklich interessiert. Denn eigentlich ging ich davon aus, dass niemand ernsthaft so einen Quatsch glauben könnte. Bedauerlich an dem ganzen Hin und Her fand ich bislang nur, dass niemand mehr das eigentliche Problem im Auge hatte: Wo ziehen wir als Gesellschaft unsere Grenzen und wie definieren wir diese Grenzen?
Geändert hat sich das dann, als tatsächlich auf Mobile Geeks ein Beitrag veröffentlicht wurde, in dem unkritisch und unreflektiert die kompletten „Argumente“ aus der rechten Ecke wiedergekäut wurden inklusive der Behauptung, dass durch den Kampf gegen Hassreden die Meinungsfreiheit schleichend eingeschränkt würde. Und richtig schön am eigentlichen Thema vorbei – nämlich der Frage, was wir als Gesellschaft wollen – wurde aus Vermutungen und Annahmen das Bild einer Amadeu Antonio Stiftung gemalt, die in Zukunft an Recht und Gesetz vorbei uns allen vorschreiben würde, was wir sagen dürfen und was nicht. Nicht zu vergessen, die „Zensur von Facebook“ durch die Stiftung. Eigentlich wäre es ja zum Lachen, wenn es nicht so traurig wäre… Zwar hatte ich bei Mobile Geeks direkt auch schon auf diesen Beitrag geantwortet, aber so ein paar weitere Gedanken kamen bei dem Thema noch dazu, die ich dann einfach mal hier niederschreibe.
Wie es anfing
Das Problem mit Hassreden im Netz wurde mit der steigenden Zahl an Flüchtlingen immer deutlicher. Gerade Facebook hatte sich hier nicht sonderlich mit Ruhm bekleckert. Zwar untersagt Facebook in den eigenen Nutzungsbedingungen Hassreden und sowieso schon offensichtlich strafrechtlich unzulässige Inhalte, aber ein konsequentes Vorgehen dagegen war nicht zu erkennen. Das führte zu nicht gerade wenig Unmut – der übrigens auch bei Mobile Geeks deutlich geäußert wurde, was die spätere Veröffentlichung des Gast-Kommentars nur noch unverständlicher macht.
Die Ursache dieses verfehlten Vorgehens von Facebook, bei dem oftmals eindeutig strafrechtlich in Deutschland unzulässige Inhalte stehen gelassen wurden (z. B. die Leugnung des Holocaust), dafür aber Inhalte entfernt wurden, die sich kritisch mit der rechten Hetze auseinander gesetzt hat, liegt in der Herkunft von Facebook. Wie so viele US-Unternehmen handelt man auch bei Facebook gerne so, als wären die Vereinigten Staaten von Amerika der Nabel der Welt und was dort gilt, wäre für den Rest der Welt ebenfalls gültig. Ein Fehler, der in den USA scheinbar gar nicht so selten ist (ich erinnere mich an eine Schulung vor einigen Jahren, bei der die Schulungsleiterin uns erzählte, dass ihr Vater die Deutschen für ein gottloses Volk halten würde, seit sie ihm erzählt hatte, dass der 4. Juli in Deutschland kein Feiertag ist). Auch Apple hat sich da schon hervor getan, so erlauben es die offiziellen Moralvorstellungen in den USA offensichtlich nicht einen entblößten weiblichen Nippel zu zeigen, wohingegen diverse Gewaltdarstellungen oder Hakenkreuze kein Problem darstellen. Das ist in Deutschland ein wenig anders und man wollte, dass sich Facebook hier ein wenig anpasst. Wenn schon nicht bezüglich der übertriebenen Sexualmoral, dann doch wenigstens im Bereich Hetze und Hassrede.
Man suchte also nach Lösungen und das Bundesministerium der Justiz unter Heiko Maas war da natürlich ganz groß dabei, wie sich das lösen konnte und man erdachte sich eine „Task-Force“. Das klingt nun nach einer echt aktiven Truppe, man denkt an in schwarz gekleidete Spezialkräfte… sieht aber anders aus. Es geht um Politik, hier wird in einer Task-Force geredet und verhandelt, damit am Ende irgendein Ergebnis heraus kommt, mit dem alle Beteiligten leben können.
Im speziellen Fall der Hetze sind die bisherigen Ergebnisse eigentlich ganz vernünftig: Facebook beschäftigt ein Team zur Bearbeitung von gemeldeten Beiträgen in Deutschland und lässt sich von deutschen Stiftungen beraten, wie das so ist mit dem deutschen Recht und so. Nun gut, man darf aber nicht vergessen, dass hinter allem eine Verschwörung vermutet wird. Für das in Deutschland sitzende Team an Prüfern hat sich Facebook einen Dienstleister in Deutschland gesucht und ausgerechnet die Bertelsmann-Tochter Arvato für den Job gefunden. Ist klar, da wurde schon die erste Verschwörung vermutet, ist klar, Bertelsmann und so.
Und dann hat Facebook auch noch Geld in die Hand genommen für eine europaweite „Initiative für Zivilcourage online“, unterstützt vom Bundesjustizministerium und mit folgenden Partnern: das International Centre for the Study of Radicalisation and Political Violence (ICSR), das Institute for Strategic Dialogue (ISD) und die Amadeu Antonio Stiftung (AAS). Diese Initiative soll zum einen Vorschläge und Kampagnen erarbeiten, wie man dem Hass im Netz begegnen kann, aber eben auch Facebook beim Umgang damit auf der eignen Plattform beraten. Eigentlich doch eine gute Sache, oder? Mehr Zivilcourage gegen Hetze, Beratung für Facebook – jetzt sollten doch alle (von den Hetzern abgesehen) zufrieden sein?
Nun wird vor allem die Amadeu Antonio Stiftung kritisiert für ihre Broschüre zum Thema Hatespeech und der Unterstützung durch die Ministerien der Justiz und des Inneren für eben diese Broschüre. Um eine lange Geschichte kurz zu machen: Seitens der Strafverfolgungsbehörden gab es verstärkte Anstrengungen gegen die strafrechtlich relevanten Äußerungen im Netz, das Bundesjustizministerium und die Amadeu Antonio Stiftung haben aber klar gesagt, dass sie nicht nur gegen diesen Teil vorgehen wollen, sondern auch Hatespeech außerhalb des strafrechtlichen Rahmens den Kampf angesagt haben. Eben für eine bessere Diskussionskultur im Netz.
Personalien
In den Köpfen vieler vor allem schwer rechtslastiger Menschen wurde daraus dann eine große Verschwörung gegen die Meinungsfreiheit. Ist klar: Heiko Maas, die Bundesregierung, Bertelsmann, die seit Jahren gegen Rechtsextremismus kämpfende Amadeu Antonio Stiftung, verstärkte Strafverfolgung, Kampf gegen Hatespeech auch in strafrechtlich nicht relevanten Ausprägungen… aus diesen Zutaten lässt sich prima etwas zusammen rühren. Wenn dann noch ein paar Personalien dazu kommen, die man da verarbeiten kann, dann wird es richtig groß:
Anetta Kahane, die Vorsitzende der AAS, hat eine Vergangenheit als Stasi-IM. Das ist natürlich keine Kleinigkeit und auch wenn sie laut einem Gutachten niemandem geschadet haben soll, später auch einen Ausreiseantrag gestellt hat (mit den entsprechenden Folgen), es Jahre her ist und auch kaum jemand wirklich beurteilen kann, wie es denn war in der DDR zu leben – es bleibt eine Personalentscheidung, die man kritisieren kann und auch muss. Das ist einfach etwas, das will nicht so ganz zusammenpassen.
Aber wichtig ist gerade nur das Stichwort „Stasi“, denn im Stiftungsrat sitzt jemand, der inzwischen auch Leiter eines Landesverfassungschutzes ist: Stephan Kramer. Also auch ein Geheimdienst, ebenfalls ein Inlandsgeheimdienst. Da wird mindestens Interessenkonflikt gewittert, wenn nicht gleich geheimdienstliche Verstrickungen der Stiftung. Die Stiftung wird gar zur Tarnorganisation des Verfassungsschutzes erklärt.
Und dann Julia Schramm. Sie ist Mitarbeiterin der Stiftung und war mit verantwortlich für die oben erwähnte Broschüre (zu dem Inhalt später mehr). Den Namen schon mal gehört? Ja, Julia ordnet sich selbst politisch sehr weit links ein, bezeichnete sich wohl auch schon selbst als Antideutsche. Und sie hatte in der Vergangenheit selbst dann und wann mal Probleme den richtigen Ton zu treffen, um es vorsichtig zu formulieren. Sie lag in ihrem Ton teilweise so weit daneben, dass sich das Bundesjustizministerium von diesen Aussagen von ihr distanziert hat.
Broschüre und Website
Da haben wir schon einiges an Material für eine richtig feine Verschwörungstheorie: Ex-Stasi-Frau, Verfassungsschutzpräsident, eine Antideutsche, aber es kommt noch mehr.
Die AAS beschäftigt sich sowohl in der Broschüre gegen Hatespeech, als auch auf ihrer Website sehr viel umfassender mit dem Thema. Auch ist die Definition der Stiftung, was Hatespeech sei, deutlich weitreichender als das Strafgesetzbuch. Dabei steht es außer Frage, dass Sprache eben auch Hass und Vorurteile transportieren und diskriminierend sein kann, ohne dass die getätigten Aussagen deswegen strafrechtlich relevant wären. Bleibt die Frage, wie damit umzugehen ist. An sich ist die Stiftung hier sehr deutlich, zum Beispiel wenn es um die Frage einer Strafanzeige geht:

Die Meinungsfreiheit wird in diesem Land durch Artikel 5 des Grundgesetzes besonders geschützt. Das heißt auch, dass Meinungen, die man nicht teilt und rundweg ablehnt aus rechtlicher Perspektive hinnehmen muss.

Ist eigentlich unmissverständlich und es geht weiter:

Eine Anzeige macht daher nur Sinn, wenn es sich um einen strafrechtlich relevanten Beitrag handelt. Aber auch, wenn du dir nicht sicher bist: Eine Anzeige zu viel, ist besser als eine zu wenig.

Wenn man das so liest, dann sollte doch eigentlich klar sein, was gemeint ist: Strafanzeigen ergeben nur Sinn, wenn die Aussagen auch strafrechtlich relevant sind, ist man sich nicht sicher, ob eine Aussage strafrechtlich relevant ist oder nicht, dann ist es besser eine Anzeige zu schreiben, die gar nicht weiter verfolgt wird, weil es sich um eine strafrechtlich nicht relevante Äußerung handelt, als eine Anzeige nicht zu stellen, so dass dadurch die Ahndung einer strafrechtlich relevanten Äußerung unterbleibt.
Eigentlich genau das, was Kritiker und die „Kritiker“ von rechts aussen immer anführen: Die Grenzen der Meinungsfreiheit würden durch Gesetze bestimmt und es wäre Aufgabe der Strafverfolgungsbehörden das zu ahnden, nicht die Aufgabe einer privaten Stiftung. Und genau dazu ruft die Stiftung doch auf, denn ohne Anzeige erfolgt keine Ermittlung. Nein, das passt dann auch wieder nicht: Es handle sich um einen Aufruf zur Denunziation.
Hier drehen sich die „Kritiker“ im Kreis und widersprechen sich: Es bräuchte keine Kampagne gegen Hatespeech, schließlich würden die Gesetze die Grenzen der Meinungsfreiheit genau definieren, wenn man aber den zuständigen Stellen eine mögliche Überschreitung der gesetzlichen Grenzen der Meinungsfreiheit zur Überprüfung mitteilen – sie also anzeigen – soll, dann ist das auch nicht in Ordnung, das wäre schließlich Denunziantentum. Natürlich fehlt an dieser Stelle nur selten ein Hinweis auf Stasi und Drittes Reich, logisch. Für mich persönlich klingt das nach „Jetzt lasst die Leute doch in Ruhe ihre Hasskommentare schreiben, den Holocaust leugnen und zur Gewalt aufrufen, so lange nicht zufällig ein Polizist drüber stolpert muss das auch nicht von den Behörden verfolgt werden“. Ist nicht so gemeint? Dann frage ich mich aber, wie es denn nun gemeint sein soll, wenn man einerseits ständig auf die gesetzlichen Grenzen hinweist, aber jeden Aufruf, auf Grundlage dieser gesetzlichen Grenzen mögliche Verstösse anzuzeigen ablehnt.
Natürlich wird dieser Aufruf auch gerne mit der deutlich weiteren Definition von Hatespeech vermischt. Da wird behauptet, die AAS wolle alles, was sie unter Hassreden einsortiert verbieten und löschen. Nur einen Beweis für diese Behauptung gibt es nicht, im Gegenteil, die AAS selbst weist wiederholt darauf hin, dass es nicht darum ginge über neue Gesetze die Grenzen der Meinungsfreiheit neu zu definieren, sondern eben darum, die aktuell geltenden Grenzen durchzusetzen und darüber hinaus ein Bewusstsein für Hassreden jeder Art zu schaffen.
Kritik
Gerne wird auch behauptet, dass jede Kritik an der AAS immer direkt in die rechte Ecke gestellt würde, ja gar verboten wäre. Was ein ziemlicher Quatsch ist. Es wird niemand bestreiten, dass es aus der rechten Ecke regelrechte Kampagnen gegen die AAS und vor allem die Personen Julia Schramm und Anette Kahane gibt und gerne wird hier die Stasi-Vergangenheit der Stiftungs-Vorsitzenden thematisiert. Über diese Kampagnen wird natürlich auch berichtet und wenn nun also berichtet wird, dass rechte Kampagnen die Stasi-Vergangenheit von Anette Kahane verwenden, dann dreht so mancher Kritiker daraus, dass jede Kritik an dieser Vergangenheit als rechte Kampagne bezeichnet würde. Ich stelle mir da manchmal die Frage, ob diese Leute die fraglichen Texte nicht verstehen wollen oder können.
Selbstverständlich kann und darf man auch die AAS und auch ihre Arbeit jederzeit kritisieren, schließlich ist das ein freies Land und weder die AAS noch die Mitarbeiter sind perfekt und fehlerfrei. Und weil sachliche Kritik immer erlaubt ist, gibt es jetzt hier an dieser Stelle von mir genau das – wir werden ja sehen, ob dieses Weblog hier dann von der „Gesinnungspolizei“ aus dem Netz zensiert wird, ob sich jemand von der AAS damit ebenso sachlich beschäftigt oder ob einfach gar nichts passiert.
Oben hatte ich schon die Personalentscheidungen Anette Kahane und Julia Schramm angeführt. Beide Personalien sehe ich ziemlich kritisch und ich denke es hätten sich sowohl für den Vorsitz als auch als „Vorturnerin“ für die Anti-Hatespeech-Kampagne doch Leute finden lassen müssen, die weniger angreifbar sind. Selbst wenn man sich der Meinung anschließt, dass die IM-Tätigkeit von Anette Kahane mehr oder weniger eine folgenlose Jugendsünde und Dummheit war, muss man doch zugeben, dass diese Jugendsünde und Dummheit sie trotzdem noch angreifbar macht, zumindest als Vorsitzende einer Stiftung, bei der es auch um die Förderung von Zivilcourage geht. Ich erlaube mir kein Urteil darüber, ob die IM-Tätigkeit folgenlos war oder nicht, mir ist es ehrlich gesagt auch persönlich egal, schließlich ist das durchaus einige Jahre her und wir sollten das Thema „zweite Chance“ bei keinem Menschen ausschließen, jedoch sehe ich eben, dass die Stiftung sich durch diese Personalie angreifbar gemacht hat (ob die Angriffe nun berechtigt sind oder nicht).
Ähnliches gilt für Julia Schramm, der ich keinesfalls die Kompetenz absprechen will bei dem Thema, aber wäre es nicht besser gewesen eine Person in die erste Reihe der Kampagne zu stellen, die bei Twitter nicht vor gar nicht allzu langer Zeit eine Reihe von Aussagen getätigt hat, die in Form und Inhalt die eigenen Kriterien der Kampagne an Hatespeech erfüllen? So rein aus taktischer Sicht hätte man so einige Angriffe auf die Kampagne vermieden, vor allem Angriffe die bei aller Unsachlichkeit eben die nötige Spur Wahrheit enthalten, damit etwas davon hängen bleibt.
Dann die Broschüre „Geh Sterben“: Den Ansatz finde ich gut, aber mir persönlich ist die zu textlastig (haha, und das schreibt der in einen Beitrag mit mehr als 3.600 Wörtern, der Depp) und zu theoretisch. Ich fürchte, dass viel zu wenige Menschen die überhaupt komplett lesen und noch weniger Menschen sie verstehen. Irgendwas in der Art „kurz & knapp“, mit mehr konkreten Beispielen und Handlungsempfehlungen. Ansätze sind drin, aber IMHO zu wenige und eben zu viel Text und Theorie. Vor allem zu viel Theorie zur Frage, wo Hatespeech anfängt. Vielleicht Geschmacksache, vielleicht auch eine Frage der Zielgruppe – aber wenn die Zielgruppe der Durchschnittsuser sein soll, dann ist so was wie die Website „No Hate Speech“ meiner Meinung nach deutlich besser geeignet. Übrigens wird das dahinter stehende „No Hate Speech Movement“ unter anderem auch von der Amadeu Antonio Stiftung beraten.
Und was mir bei der ganzen Kampagne noch fehlt ist das Feedback. Aktuell wirkt fast alles zu dem Thema so ein bisschen sehr von oben herab erzieherisch: Das ist Hatespeech, das darf man nicht, so musst du dich verhalten. Das mag zwar alles richtig sein, aber möglicherweise würde so eine Kampagne besser angenommen, wenn man auch einen irgendwie gearteten Rückkanal eingebaut hätte. Zum Beispiel eine groß angelegte Umfrage zum Thema Hassreden, um mal heraus zu bekommen, wie so die Stimmung in der Bevölkerung bei dem Thema ist, wo die Mehrheit die Grenzen zieht. Klar mag die Definition von Hatespeech rein wissenschaftlich und logisch richtig sein, aber was richtig und logisch ist, muss noch lange nicht dem Empfinden einer Mehrheit in diesem Land entsprechen. Um es verkürzt zu sagen: Wenn das Ergebnis einer großen Umfrage zeigen würde, dass 80% der Menschen in diesem Land den Begriff Zigeunerschnitzel (um mal wahllos irgendwas raus zu greifen) als diskriminierend gegenüber Sinti und Roma empfinden, dann würden vielleicht auch die verbliebenen 20% (oder zumindest ein Teil von denen) das eher akzeptieren, als eine theoretische Abhandlung darüber, warum die Bezeichnung eben diskriminierend ist.
Und dann die Beschwerde beim ZDF. Nein, ich fange jetzt nicht an, daraus einen Zensurversuch zu konstruieren, diese Behauptung ist schlicht lächerlich. Es ging um einen satirischen oder „satirischen“ Beitrag beim ZDF, in dem die AAS und ihre Arbeit gegen Hatespeech ziemlich ins Lächerliche gezogen wurden. Ein paar Minuten Sendezeit, über die ein paar Leute wahrscheinlich lachen konnten, von der sich die Menschen der AAS aber angegriffen gefühlt haben. So sehr angegriffen, dass sie nicht nur an den ZDF-Fernsehrat, Intendanz und Redaktion geschrieben haben, sie haben auch die Entfernung des Beitrags aus der Mediathek gefordert und irgendwie kam der Brief mit der Beschwerde auch an die Presse und wurde zum Beispiel bei der Zeit thematisiert. Nun hat die Zeit auch Verbindungen zur AAS, was natürlich ein gefundenes Fressen für die „Kritiker“ war: Seilschaften, Zensurversuch und was weiß ich nicht was.
Zensurversuch war es keiner, es war letztlich ein normaler Vorgang, wie er immer wieder passiert: Ein Sender berichtet etwas über eine Person, eine Organisation, ein Unternehmen, ob nun Politiker, Schützenverein oder eine der großen Kirchen, vielleicht ist es auch kein Bericht, sondern eine Satire. Daraufhin wird sich beschwert und gerne auch die Entfernung des Beitrags aus der Mediathek oder eine Korrektur gefordert. So weit so normal und auch das gute Recht eines jeden, sich zu beschweren, wenn man der Meinung ist, dass irgendwas falsch dargestellt wurde. In den meisten Fällen – ja, die Beschwerde des Herrn Erdogan war hier eine sehr unrühmliche Ausnahme – wird der angesprochene Sender etwas in der Art antworten, dass man es bedauere, wenn der Gegenüber sich verletzt/beleidigt/falsch dargestellt fühle, aber der Beitrag im Netz bleibe (zumindest bis zur regulären Ablauffrist für öffentlich-rechtliche Inhalte im Netz, ein anderes Thema, ganz übel, könnte ich mich stundenlang aufregen). Damit wäre die Sache vom Tisch, man kann über die Beschwerde lachen, sie dämlich finden, alles, aber sind das plötzlich gleich Zensurversuche?
Gut, die Beschwerde war also erstmal soweit okay, als dass jeder sich beschweren darf. Aber nicht okay war – zumindest nicht aus taktischer Sicht und in Anbetracht der enormen Anstrengungen einiger, die AAS schlecht zu reden – den Brief zu veröffentlichen bzw. an offenbar nahe stehende Journalisten weiter zu geben. Wäre es eine Beschwerde geblieben von der AAS an das ZDF, dann hätte die das unter sich ausgemacht und keiner hätte etwas davon mitbekommen, keiner hätte die Beschwerde genutzt, um daraus neue Attacken gegen die AAS zu basteln und alles prima. Der Beitrag wäre zwar trotzdem nicht aus der Mediathek verschwunden, aber möglicherweise hätte man sich beim ZDF nächstes Mal bei dem Thema zwei, drei Gedanken mehr gemacht. Man weiß es nicht. Aber indem das an die Öffentlichkeit gezerrt wurde, hat man der Stiftung quasi eine Zielscheibe aufgemalt. Taktisch äußerst unklug.
Ach und das mit dem Projekt neue-rechte.net ist auch so ein Ding. Eigentlich sollte man meinen, dass Rainer Meyer (DonAlphonso) lange genug im Internet unterwegs ist, um so ein paar technische Zusammenhänge zu verstehen. Nun, entweder hindert ihn dieses Verständnis nicht daran, sich hanebüchene Vorwürfe gegen die AAS und das Projekt neue-rechte.net aus den Finger zu saugen (Antwort der Amadeu Antonio Stiftung (PDF)) oder er ist nich mal halb so intelligent, wie ich bislang dachte. Um es kurz zusammen zu fassen: Auf neue-rechte.net werden Verknüpfungen innerhalb der Szene der Neuen Rechten dargestellt, es gibt Personen, Organisationen, Parteien usw. So kann man zum Beispiel bei Lutz Bachmann einsteigen, kommt so zu PEGIDA und vor dort zu weiteren Sprechern und von dort wieder weiter. Eine gute Idee, um solche Verbindungen mal aufzuzeigen, es werden auch immer Quellen genannt (aber nicht verlinkt, das geht besser). Aufgrund der Tatsache, dass solche Verknüpfungen erst ab einer bestimmten Zahl angezeigt werden, war es nun so, dass aufgrund von drei Ex- und einem Immer-Noch-Mitglied der CDU eben diese unter Parteien aufgelistet war. Logisch. Die SPD tauchte nicht auf, hier gibt es bislang mit Thilo Sarrazin eben nur eine Verknüpfung – dies wurde inzwischen übrigens geändert und auch die SPD taucht unter den Parteien auf. Aus dieser rein technischen Verknüpfung bzw. Auflistung konstruierte Rainer Meyer dann den absurden Vorwurf, die AAS würde die CDU als Partei der Neuen Rechten bezeichnen. Ehrlich jetzt? Dummheit oder Berechnung? Man weiß es nicht, man kann nur spekulieren, aber für so dumm halte ich DonAlphonso nun nicht…
Wo kommt der Hass her?
Gar nicht so schwer, Kritik sachlich zu formulieren. Und da gibt es ja einiges zu kritisieren – auf die Texte der Broschüre bin ich inhaltlich noch gar nicht eingegangen, sonst wird der Beitrag viel zu lang – da fragt man sich: Woher kommt der Hass auf die AAS? Nun, ich habe da so einen Verdacht. Ich erwähnte ja schon das Zigeunerschnitzel und da gab es ja noch mehr Begriffe, die teilweise in Neuauflagen aus alten Büchern gestrichen werden sollten, weil sie eben einfach diskriminierend und daher nicht mehr zeitgemäß sind. Das führt schon viel zu lange immer wieder zu Diskussionen und Beschwerden über die ach so schlimme „Political Correctness“. Da hat sich einiges an Hass angestaut, der aber bisher nicht so richtig konkret abgefeuert werden konnte. Hass macht doch erst dann richtig Spaß, wenn es ein konkretes Ziel gibt. Und da kommt eine Stiftung daher, streckt den Kopf raus und juhu, man hat ein konkretes Ziel für den Hass (alte Weisheit, die ich in meiner Zeit bei Siemens von alten Kollegen dort lernte: Immer schön den Kopf unten halten und nicht auffallen – wer den Kopf zu weit raus streckt, der bekommt ihn abgeschlagen). Da steigt der Hasspaßfaktor doch exponentiell… Ist nur meine Theorie, aber in der Praxis bestätigt sie sich bislang (wie auch meine Theorie, dass die Intelligenz pro Planet eine kosmische Konstante ist, was bei wachsender Bevölkerung auf einem Planeten zu einer Verringerung der Durchschnittsintelligenz führt).
Facebook
Kommen wir zurück zum Anfang: Facebook und die Hasskommentare. Es geht ja das Gerücht um, die AAS würde bei Facebook quasi höchstpersönlich Beiträge löschen oder zumindest Löschlisten erstellen. Das ist natürlich Quatsch, das wäre alleine vom Personal her kaum zu stemmen und Facebook würde sich so was sicher nicht gefallen lassen. Facebook lässt sich unter anderem von der AAS beraten. Dazu trifft man sich üblicherweise einmal pro Jahr und bespricht da so einiges. Ich war lange genug in der Politik aktiv um eines ziemlich gute Vorstellung davon zu haben, wie so was abläuft: Gähnend langweilig. Und kein einziger Beitrag wird dabei gelöscht. Und ob am Ende etwas dabei raus kommt ist komplett offen. Eigentlich sind solche Zusammenkünfte erschreckend langweilig und ergebnislos, vor allem, wenn man es mit den gestreuten Gerüchten einer aktiven Zensur vergleicht.
Aber in Anbetracht dessen, dass eine gesetzliche Regulierung des Themas wohl noch länger dauern würde (zum einen wegen der großen Koalition, zum anderen, weil das in dem Fall auf europäischer Ebene passieren müsste) und eigentlich niemand wollen kann, dass nun angefangen wird, Spezialgesetze zur Regulierung von sozialen Netzwerken zu machen, können wir schon froh sein, dass überhaupt etwas passiert. Egal wie langsam.
Denn in einem Punkt sollte es zumindest unter intelligenten Menschen keinen Dissens geben: Hass, Aufrufe zu Gewalt und Drohungen gehören in einer zivilisierten Gesellschaft in keine Diskussion, weder on- noch offline. Schön wäre es jetzt dann noch, wenn alle einfach mal sachlich und ohne „Hilfe, die Meinungsfreiheit wird eingeschränkt“-Schnappatmung anfangen würden, Vorschläge auf den Tisch zu legen, was wir als Gesellschaft denn bitte tun sollen bei dem Thema. Immer nur auf diejenigen losgehen, die etwas tun und keine eigenen Vorschläge bringen, ist schon ein bisschen sehr billig. Oder einfach ehrlich sein und zugeben, wenn man denn der Meinung ist, dass das mit den Hasskommentaren so in Ordnung ginge – wäre zumindest mal ein Standpunkt.

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