Einen großen Plan für mein Leben hatte ich ja nie. Wenn überhaupt, dann reichte der Plan für die Mitgliedschaft im Club 27, darüber hinaus ging es nicht wirklich. In den letzten Wochen habe ich mir ausführliche Gedanken darüber gemacht, was in meinem Leben bislang so alles passiert ist – das bringt so eine Therapie mit sich.
Das Ergebnis dieser Gedanken und Gespräche? Zumindest war mein Leben nie langweilig 😂 Meine Lebenslauf war ungefähr so gradlinig, wie der Heimweg nach einer Party, die im Vollrausch endet. Und nicht wenige Stationen in diesem Lebenslauf waren solche, die ich davor eigentlich nie machen wollte. Für einen Konzern wollte ich nie arbeiten und war dann doch bei Siemens. Heiraten stand auch lange auf der „Niemals“-Liste, dann hatte ich es mir doch anders überlegt. Chef zu sein war auch niemals ein Ziel von mir, aber es kam dann doch anders. Zum Vegetarier mit Tendenz zu veganer Ernährung wurde ich irgendwie auch nur aus Versehen.
Aber ein paar Konstanten gab es dann doch, zum Beispiel war ich immer lernfähig und -willig – auch wenn es manchmal etwas länger gedauert hat. Was hatte ich damals bei den Jusos über das Binnen-I geschimpft, ich fand es sinnlos und einfach nur störend. Nach ausführlicher Beschäftigung mit dem Thema und der Erkenntnis, dass die Sichtbarkeit möglichst aller Geschlechter in der Sprache tatsächlich wirkt, versuche ich zumindest konsequent zu gendern. Das war übrigens immer mein größter Alptraum wenn es um das Älterwerden ging: Irgendwann nur noch ein festgefahrenes Weltbild mit mir rumzutragen und unfähig (oder schlimmer: unwillig) zu werden, es im Zweifel jeden Tag zu hinterfragen.
Andere Menschen sagten mir immer wieder, dass ich ja ein ziemlich spannendes Leben gehabt hätte, dass ich so viel erlebt hätte. Viel erlebt hatte ich wirklich, auch wenn ich auf so einiges davon gerne verzichtet hätte. Und jetzt soll mir niemand mit dem Spruch kommen, dass auch negative Erlebnisse dazu beigetragen hätten, dass aus mir der Mensch wurde, der ich geworden bin. Das mag zwar stimmen, aber eben nicht nur im Positiven, sondern eben auch im Negativen. Ein Leben ohne so einige Traumata und die daraus entstandenen Angststörungen und Depressionen wäre sicherlich deutlich einfacher gewesen – nicht nur für mich, sondern auch für die Menschen um mich herum.
Abwechslungsreich war es auf jeden Fall, gerade durch die Arbeit, immerhin konnte ich in ziemlich viele spannende Branchen und Unternehmen (und auch in eine Anstalt) sehen und miterleben, was dort wie passiert und getan wird. Nicht immer nur der IT-Kram, auch mit und für Parteien, Politker:innen und eine Landtagsfraktion gearbeitet und sehr viel mit und für kreative Menschen: ob Texte, Illustration, Comics, Cartoons, Malerei, Musik, Werbung und sogar Filme war alles dabei. Selbst auch Bands, Konzerte, kleinere Touren und Festivals gemanagt, auf größeren Touren mitgefahren und Backstage bei einigen der großen Festivals in Deutschland dabei gewesen, Bücher geschrieben und eines davon sogar über einen Verlag veröffentlicht… ja, da war eine Menge dabei.
Auch mit Drogen habe ich experimentiert, aber da blieb nicht viel von übrig, es blieb fast immer bei einem Experiment – am Ende blieben Nikotin- und Koffeinsucht, gelegentlich und immer weniger Alkohol und Gras. Tatsächlich ist der Teil meines Lebens eigentlich ziemlich langweilig und blieb weit hinter den Erwartungen des damaligen Direktors am Hans-Sachs-Gymnasium in Nürnberg zurück, der mir im Treppenhaus laut vernehmlich für alle, die es hören wollten verkündete, dass ich als drogenabhängiger Junkie in der Gosse enden würde. Nicht, dass ich es nicht zumindest versucht hätte, eine Karriere als Alkoholiker aufzubauen, um zumindest eine Familientradition fortzuführen – war aber nix. Wer nicht gerne die Kontrolle verliert eignet sich einfach nicht für eine ernstzunehmende Drogenkarriere 🤷🏻♂️
War so einiges wofür ich mich nicht wirklich geeignet habe. Zum Beispiel das, was man als „normales Sozialleben“ bezeichnet, was zum Teil wohl an den erwähnten Traumata lag. War einfach nie meins, mich von mir aus bei Menschen zu melden. Nicht, weil ich diese Menschen nicht gemocht hätte, sie mir egal gewesen wären oder ich nicht das Bedürfnis gehabt hätte mit ihnen zu sprechen – ich wollte einfach nicht stören. Klingt doof? Aber mal ehrlich: Wer hat schon Bock mit einem Depressiven zu reden, der regelmäßig bis zum Umfallen arbeitet, weil er es nicht mit sich selbst vereinbaren konnte auch mal Dinge einfach explodieren zu lassen? Eben, nicht mal ich hätte Bock gehabt von mir angeschrieben oder angerufen zu werden. Glaube ich zumindest. Was hätte ich denn auch sagen sollen? „Hey, ich arbeite immer noch viel zu viel und habe nicht mal Zeit, um genug zu schlafen, aber wie geht es Dir?“ Was soll eine so angesprochene Person denn denken? „Ach, der wieder, ruft nur an, um anzugeben, wie viel er arbeitet…“ Keine Ahnung, mein Hirn hat nie „normal“ funktioniert. Für den Aufbau und die Pflege von Freundschaften nicht sehr hilfreich und gerade bei Beziehungen ein echter Killer.
Nö, einen Plan für mein Leben hatte ich nie, ich bin damit eher umgegangen wie man in eine Sneak Preview geht: Man weiß nicht, was einen erwartet, also kann man nur reingehen und schauen, wie es wird. Wenn es dann doch zu beschissen ist, kann man ja auch wieder rausgehen. Wobei die meisten dann doch bis zum Ende bleiben und sei es nur, weil man halt wissen möchte, ob es noch beschissener geht… optimistisch veranlagte Menschen hoffen vielleicht auch, dass es doch noch besser wird.
Ein schöner Text. Das mit den Plänen ist aber auch schwierig und mir sind Menschen suspekt, die schon ihr halbes Leben durchgeplant haben und das dann auch genau so durchziehen 😬 Zumindest ein bisschen treiben lassen gehört doch auch irgendwie dazu.
Das mit dem „Nicht-Stören-Wollen“ kenne ich auch, oder das Gefühl zu haben, dass man stören wird und es Leuten irgendwie unangenehm ist, wenn man jetzt vorstellig wird.