Schulfach „Neue Medien“? Echt jetzt?

Ich hätte ja fast meinen Kaffee auf das Display gespuckt (lieber Leasingpartner: fast, nur fast!), als ich die Überschrift der Pressemitteilung gelesen hatte: „Piraten wollen Schulfach Neue Medien auf den Lehrplan setzen“. „Neue Medien“? Ernsthaft?

Normalerweise halte ich ja hier ja meistens die Fresse, wenn es um die Arbeit der Landtagsfraktion geht. Aber bei der Pressemitteilung stellte sich bei mir spontan ein kaum zu ertragendes Fremdschamgefühl ein.  Erinnert sich noch jemand daran, wie wir uns lustig gemacht hatten über Mutti, als sie das Internet als „Neuland“ bezeichnet hatte? Ja, auch viele Piraten haben sich da kräftig amüsiert und womit? Mit Recht! Und dann kommt die Piratenfraktion Saarland daher und haut eine Pressemitteilung mit diesem Titel raus. „Schulfach Neue Medien“? Hallo? Wir haben 2014 und nicht 1997…
Aber es ist nicht ganz so schlimm, wie es die Pressemitteilung spontan glauben macht: Im Antrag, den die Fraktion zum nächsten Plenum eingereicht hat (hier hinkt die Pressemitteilung der Realität etwas hinterher), wird ein Schulfach Medienkompetenz gefordert. Klingt schon besser, danke. Obwohl der Antrag auch nicht ganz ohne diese „Neue Medien“ auskommt: „Die Neuen Medien, insbesondere das Internet mit seinen vielfältigen Nutzungsmöglichkeiten, sind aus dem Alltag nicht mehr wegzudenken.
Okay, muss man wahrscheinlich so beschreiben, damit die Abgeordneten von der Union wenigstens die Chance haben zu verstehen, was sie mit ziemlicher Sicherheit ablehnen werden. Man muss ja nichts überstürzen, dieses „Internet“ ist ja quasi erst aufgetaucht und der Hype geht sicher bald rum, von Tamagotchis redet heute ja auch keiner mehr. Aber ernsthaft: Warum immer noch diese Bezeichnung als „Neue Medien“ und dann ausgerechnet von Piraten, die doch Internetversteher sein wollen? Ich verstehe es nicht.
Aber zum eigentlichen Thema: Es ist verdammt erschreckend, dass die Lehrpläne hier immer noch der Realität hinterherhinken. Ein Schulfach Medienkompetenz müsste es doch schon mindestens seit 10 Jahren geben, flächendeckend. Das wäre deutlich wichtiger, als großartig Richtlinien für die Facebook-Nutzung von Lehrern zu basteln oder sich immer neue Regulierungen zu überlegen. Wäre ja auch zu einfach, wenn wir mal anfangen würden, unseren Nachwuchs in der Schule fit für das Leben zu machen, wie es nun eben stattfindet… Aber selbst wenn der Antrag nun angenommen werden würde, dann würde es sicherlich noch ein paar Jahre dauern, bis entsprechende Lehrpläne erstellt und von allen abgesegnet wurden, die da was zu sagen haben (oder glauben etwas sagen zu müssen). Aber wenn man schon 10 Jahre hinterher hinkt, dann kommt es auf zwei oder drei Jahre mehr wohl auch nicht mehr an.
Fazit: schöner Antrag, wichtige Forderung, Grusel-Pressemitteilung. Aber ich bin ja froh, dass es in der Piratenpartei überhaupt noch Menschen gibt, die wirklich Politik machen und sich nicht an Flügelkämpfen und dem neusten $WHATEVERgate aufhalten. Mein nächster Wunsch wäre dann noch eine richtig gute Öffentlichkeitsarbeit und die vollständige Streichung des Begriffs „Neue Medien“ aus dem Wortschatz der Piraten 🙂
Update: Ist ja lustig, meine Pingbacks wurden im Fraktionsblog in den SPAM verschoben, mein Beitrag als „Trollerei“ bezeichnet – aber die Formulierung dann doch entsprechend meiner Kritik geändert. Leute, das ist also die viel gelobte und gelebte Transparenz bei den Piraten…?

Beitragsfoto: Herbert Weber, Gymnasium Andreanum, Hildesheim (Multi-license with GFDL and Creative Commons CC-BY 2.5)

16 Comments

Carsten Dobschat

Medienkompetenz unterrichten oder gute Öffentlichkeitsarbeit für die Piratenfraktion Saarland machen? Für ersteres fehlt mir die Geduld und für zweiteres wird eigentlich schon jemand bezahlt…

Uwe Caspari

Naja, “Neue Medien” ist nun mal der gesellschaftlich geläufige Begriff heutzutage, für “alles was mit Computern zu tun hat”. Außerdem ist das Fach dann auch passend benamt für zukünfitge Entwicklungen in unserer Kommunikations- und Medienwelt.
Wir leben in einer Welt, in der ITler die sind, die “irgendwas mit Computer” machen, ein kleines Stück muss man sich schon anpassen, wie du ja auch im Text einräumst.
Ich finde es nicht dramatisch diesen neutralen Überbegriff zu verwenden, wenn das Fach dann auch wirklich in Zukunft für echte neue Medien genutzt wird.

Carsten Dobschat

„Neue Medien“ ist bescheuert, absolut. Ich frage mich, warum man das im Antrag richtig macht (Medienkompetenz, die ja nicht nur „was mit Computern“ betrifft, sondern ein grundsätzliches Thema ist), aber dann eine Pressemitteilung mit so viel Fremdschämpotential raus haut. Wie kann man sich einerseits über Muttis „Neuland“ lustig machen und dann selbst genau so einen Mist formulieren?

Uwe Caspari

Du hast Recht, dass “Medienkompetenz” ein besserer Begriff ist. Aber wie gesagt, ich sehe das nicht mit so viel Fremdschämpotential, denn “Neue Medien” ist im Gegensatz zu “Neuland” ein üblicher Begriff für das was für dich und mich eben schon ein alter Hut ist.
Ich gebe dir Recht, dass es eigenartig wirkt, wenn Piraten diese Medien neu nennen, sehe es aber weniger kritisch. 😉

Carsten Dobschat

Es wirkt nicht nur eigenartig, es ist einfach nur traurig, dass es im Antrag korrekt bezeichnet wird (Stell Dir mal vor, in drei Jahren käme ein Lehrer im neuen Schuljahr an und erzählt den Kids was von „Hey, ab diesem Jahr habt ihr das Fach „Neue Medien“…“ – die Kinder liegen doch halbtot vor Lachen auf dem Boden!) und dann in der Pressemitteilung ein so unpassender Begriff benutzt wird. Mal abgesehen davon, dass damit an sich die Pressemitteilung einfach nicht stimmt, denn der Antrag fordert eben nicht ein „Schulfach Neue Medien“, sondern ein „Schulfach Medienkompetenz“. Das sind zwei verschiedene Dinge.

Uwe Caspari

Ja, da hast du Recht. Man hätte den Begriff vereinheitlichen können und in dem Rahmen dann auch gerade auf den besseren Begriff konzentrieren.
Ich hab mich nur darauf bezogen, dass du “Neue Medien” so schlimm findest, das seh ich wie gesagt weniger dramatisch. Aber natürlich stimmt es, dass eine Pressemeldung zum Antrag die gleiche Nomenklatur haben sollte.

Sorry, aber “alles was mit Computern zu tun hat” als neu zu bezeichnen ist peinlich. Das klingt genauso wie “Ich gugge Internet” und eben das Neuland. PCs in der Arbeitswelt (sogar mit Netzwerk) gibt es seit über 25 Jahren.
Leider steckt hinter der Sache ein, naja wie soll ich es ausdrücken?, nicht durchdachter Antrag, der dank Schwarmintelligenz ins Wahlprogramm geschafft hat. Ob man(tm) es unbedingt auch auf die Tagesordnung bringen muss, sei mal dahingestellt.
Ich halte es für peinlich, dass Piraten da Vorreiter sein müssen.
Sichere Kommunikation und Datenschutz wären da deutlich spannender.

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