Menschen wählen Menschen

Da hat Hille gestern sehr schön zusammen gefasst, warum uns Piraten die besten Inhalte nichts nützen. Wer noch daran gezweifelt hat, dem hat der deutsche Wähler gestern bewiesen, dass bei der Wahl im Zweifel nicht Innalte entscheiden, sondern Personen. Oder welche Inhalte hatten CDU/CSU? Viel mehr außer „Weiter so mit dem alternativlosen Abwarten“ und „PKW-Maut für Ausländer“ gab es doch nicht. Aber die Menschen wollten Mutti. Offensichtlich hat Merkel es geschafft, den Eindruck zu erwecken, sie hätte es schon irgendwie richtig gemacht in den letzten Jahren. Kann man meinen, ich für meinen Teil sehe das ganz anders, aber das ist nicht wichtig.

Tatsache bleibt, dass bei der Masse der Wähler Programme nicht so wichtig sind, gewählt werden Menschen oder gewählt wird wegen Menschen. Tatsächlich habe ich von einigen das Feedback bekommen, dass sie zwar Piraten gewählt haben, aber eben nur, weil sie einzelne Piraten kennen und denen einfach mal glauben, wenn die sagen, dass das Programm gut ist. Gelesen haben sie es aber selbst nicht. Ein Mit-Pirat hatte mal hochgerechnet, dass für einen Einzug in den Bundestag jeder Pirat etwa 75 Wähler überzeugen müsste. Klingt nach nicht so viel, ist aber tatsächlich verdammt schwer. Leichter wäre es, wenn in der breiten Öffentlichkeit einige Piraten bundesweit bekannt wären und für Themen stehen würden. So wie Bruno Kram beim Thema Urheberrecht – auch wenn ihn ehrlich gesagt noch viel zu wenige Menschen auf der Straße kennen. Aber in jeder Partei gibt es solche Menschen, die immer wieder ihr Gesicht in die Kameras halten und dabei eben stellvertretend für ihre Partei oder bestimmte Teilbereiche ihrer Partei sprechen. Und solche Menschen brauchen wir auch.

Es ist zwar eine nette Idee, nur mit Inhalten und nicht mit den Gesichtern unserer Kandidaten Wahlkampf zu machen – aber es funktioniert ja nicht. Menschen wählen eben Menschen. Vielleicht wollen Menschen einfach auch nur schon bei der Wahl wissen, wem genau sie später die Schuld geben können – nicht irgendeiner Partei, sondern eben ganz genau einzelnen Kandidaten. Wir brauchen bundesweite Spitzenkandidaten für die nächsten Wahlen, die müssen wir aufbauen – statt jedem, der sich traut gleich basisdemokratisch eine auf den Deckel zu geben. Es muss kein Widerspruch sein, einerseits wenige Köpfe für die Kommunikation mit der Öffentlichkeit aufzubauen (und diesen Köpfen in den Vorständen vielleicht zumindest mal eine kleine Aufwandsentschädigung zahlen für die Zeit, die sie da investieren?), aber trotzdem unsere Inhalte wie bisher basisdemokratisch zu entwickeln und zu beschliessen.

Ja, die Angst vor „Oberpiraten“ sitzt bei einigen sehr tief, schließlich kennen wir das ja aus anderen Parteien, wo irgendwelches Spitzenpersonal einfach mal Entscheidungen trifft und ein paar Delegierte dürfen das dann abnicken. So muss es nicht sein. Es geht auch anders. Wir haben an vielen Stellen gezeigt, dass und wie manches anders funktioniert, beim Thema Wahlen funktioniert es aber bis jetzt noch nicht anders (und ich habe die Befürchtung, dass es nie anders funktionieren wird), dann können wir aber eben zeigen, dass das „Spitzenpersonal“ einer Partei diese auch vertreten kann ohne damit gleich die Inhalte zu dominieren und vorzugeben.

So nett diese Idee einer „hier sind alle gleichberechtigt und dürfen für die Partei sprechen“-Partei auch ist, wir haben doch gesehen was passiert: 1.000 Piraten sagen etwas öffentlich, 999 etwas sinnvolles und gutes, einer etwas unfassbar dummes. Wer wird dann in den Medien zitiert? Ja, auch offizielle Parteisprecher würden in der Öffentlichkeit als „Oberpiraten“ und „Vorturner“ wahr genommen – na und? Wenn damit unsere Kommunikation noch ein wenig professioneller würde (oder auch einfach nur der öffentliche Eindruck von unserer Kommunikation), dann hilft uns das.

Ich hoffe auf eine Änderung, auf ein paar „Vorzeigepiraten“ in den Vorständen und auf den Kandidatenlisten, die ein verdammt dickes Fell haben und sowohl immer wieder öffentlich unsere Positionen vertreten und unseren Inhalten ein Gesicht geben, aber sich auch den garantiert aus Teilen der Partei kommenden Anfeindungen und „Oberpiraten-Vorwürfen“ stellen werden. Sicher kein Job, der Spaß macht – aber irgendwer muss ihn machen, wenn wir in 4 Jahren dann endlich in den Bundestag einziehen wollen. Denn die guten Inhalte und die besseren Ideen haben wir schon lange, jetzt müssen wir die aber auch endlich mal an die Masse der Wähler transportieren.

Ach so, das und dann sollten vielleicht noch ein paar Piraten lernen, dass man sich über unterschiedliche Meinungen prima in einer Diskussion auseinandersetzen kann und auch prima unterschiedlicher Meinung in einzelnen Sachfragen sein kann, ohne es auf eine persönliche Ebene knapp oberhalb des Sandkastenniveaus ziehen zu müssen (oder schlimmeres). Das ist glücklicherweise wirklich eine Minderheit, aber wer glaubt seine Ansichten innerhalb der Partei mit Mobbing, Intrigenspielchen und persönlichen Angriffen unter der Gürtellinie durchsetzen zu müssen, der sollte noch mal ins Grundsatzprogramm der Piratenpartei schauen. Solche Methoden sind dazu nämlich inkompatibel.

12 Comments

Ich sehe das Problem der Piraten ähnlich. Es gibt keinen Oberfreibeuter, der als Galleonsfigur in der Öffentlichkeit die Positionen der Piraten charismatisch und überzeugend verkauft.

Allerdings glaube ich, dass ein solcher Oberpirat im Zweifelsfall die Befugnis und das Vertrauen haben muss, auch mal eine Position festzulegen. In der Diskussion mit anderen Parteien ist es manchmal unumgänglich, mal eine klare Ansage zu bestimmten, besonders aktuellen Themen zu machen, auch wenn die “offizielle” Meinung noch in der Schwebe ist. Sonst laufen die Piraten aktuellen Themen hinterher und wundern sich, warum sie außerhalb der Wahrnehmung der Menschen sind.

@L-Roy: Naja, die Zeiten in denen auf jede zweite Frage „Dazu haben wir noch keine Position“ geantwortet werden musste sind ja schon eine Weile vorbei 😉
Aber ja, ein Stück weit müssen wir dann auch den „Oberpiraten“ vertrauen, dass sie aus dem bestehenden Programm ggf. mal Annahmen treffen können in der Art „Zu der Detailfrage haben wir noch keinen Beschluss, aber aufgrund von A und B wäre C wohl am wahrscheinlichsten“… oder so 🙂